Ortsteil Reichelsheim / Streuobstwiesen

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Ausschnitt des geometrischen Planes des in der Wetterau gelegenen Amtes und Fleckens Reichelsheim aus dem Jahr 1761 - ausgerichtet nach WNW
(Original im Landesarchiv DA)

Auf dem Auschnitt des "Geometrischem Plan" aus dem Jahr 1761 sind sehr gut die ehemaligen Reichelsheimer "Obstbaumstücker" im Norden, Westen und Süden zu sehen. den Ausdruck Streuobstwiesen gab es seinerzeit noch nicht.

Der Begriff der Streuobstwiese wurde in den 1970er Jahren geprägt, als man sich langsam mit dem Thema Naturschutz in Verbindung mit den immer weiter zurückgehenden Obstbaumbeständen und dem einhergehenden Tierschutz auseinandergesetzt hatte. Gemeint sind damit in aller Regel hochstämmige Obstbaumstücke mit aufgelockerter Bepflanzung auf unbeackertem Boden - also Wiesen.

Es ist belegt, daß schon die Römer intensiven Obstanbau betrieben und sehr viele nicht heimische Bäume in die römisch besetzten Gebiete mitbrachten und dort zur Deckung des Nahrungsbedarfes anpflanzten - so auch in unserer Gegend.

Die Züchtung und Veredelung einiger Obstsorten wurde im Mittelalter insbesondere von den Klöstern intensiviert.

Erst etwa ab dem 18. Jahrhundert wurde der Obstanbau politisch gefördert und für die Versorgung der Bevölkerung in ganz Mitteleuropa vorangetrieben. Die Obstbaumwiesen waren zu dieser Zeit kartiert und die Bäume wurden in regelmäßigen Bestandsaufnahmen gezählt, durchnummeriert sowie auf ihren Zustand hin untersucht und bewertet. In 1898 wurde bei der Obstbaumzählung in Reichelsheim noch ein Bestand von knapp 10.000 Hochstämmen erfasst.
Mit der voranschreitenden Mobilisierung, vor allem durch den Bau der Eisenbahnlinien, änderte sich das Konsumverhalten und führte im Deutschen Reich zum Ausbau groß angelegter Obstbaumgüter und damit zum Rückgang der bis dahin landschaftsprägenden Obstbaumwiesen.

Den stärksten Rückgang der westdeutschen Streuobstwiesen besiegelte am 15. Oktober 1953 der sogenannte "Emser Beschluss" des Bundesernährungsministeriums: In Europa begann die Trendwende zur Obstplantage. Das unüberschaubare Sortiment an Kernobst sollte im Erwerbsbau auf Halbstämmen und Strauchpflanzen intensiviert werden, denn Streuobstwiesen erfordern einen deutlich höheren Arbeitsaufwand bei der Ernte als Niederstammanlagen. Zudem kommen Niederstämme nach der Pflanzung deutlich schneller in den Vollertrag. Der Trend zum Plantagenanbau erfasste die gesamte Europäische Gemeinschaft (EG). Um die Obstplantagen zu fördern, hat die EG bis 1974 sogar Rodungsprämien für jeden Hochstammobstbaum bezahlt. Eine drastische Reduktion der Streuobstflächen war die Folge.

Als nach dem Krieg 1945 allen Ortes in Westdeutschland Wohnraumnot herrschte und neues Bauland geschaffen werden musste, fielen zuerst die noch bestehenden Obstbaumwiesen den zu planenden Neubaugebieten zum Opfer - so auch in Reichelsheim.

Das Gebiet der heutigen Friedensstraße, Am Haingraben und Sudetenstraße waren die ersten ausgewiesenen Bauflächen der 1950er und frühen 1960er Jahre.

Im Rahmen des Dorferneuerungsprogrammes Reichelsheim (1992 bis 2002) konnte vom Arbeitskreis "Dorfökologie" im August 1995 nur noch ein Bestand von weniger als 200 Hochstämmen ermittelt werden. In der Folge wurde die "Interessengemeinschaft Streuobstwiesen" gegründet, die bereits im Herbst 1996 Neupflanzungen - vorwiegend im Bereich der Hasengärten (in unmittelbarer Nachbarschaft des seit 1991 neu angelegten Vereinsgeländes des Reit und Fahrvereins) und der Schule am Ried - durchgeführt hatte.

In den folgenden Jahren wurden weitere Streuobstflächen von der "IG Streuobstwiese" in Vertrag genommen, gepflegt und und auch beerntet. Mit dem Ernteertrag konnten bislang nicht nur Apfelweinfässer gefüllt, sondern auch die regelmäßig anfallenden Pflanz- und Pflegearbeiten finanziert und durchgeführt werden ohne die Stadtkasse zu belasten.

Noch besteht die IG Streuobstwiese Reichelsheim, die sich zur Betreuung dieser Flächen verpflichtet hat aber wie so oft gibt es auch hier keinen Nachwuchs (Stand Oktober 2021)


Informationen zu den Streuobstwiesen im gesamten Stadtgebiet Reichelsheim erteilt die Stadtverwaltung Reichelsheim