Ortsteil Reichelsheim / Reichelsheim im Krieg 1756-1763

Aus Historisches Reichelsheim

Der sogenannte 7-jährige Krieg ist einer von vielen Kriegen in der Auseinandersetzung um die Vormachtstellung der Großmächte Frankreich, England, Österreich und des aufstrebenden Preußens. Gekämpft wurde in Amerika und Kanada, auf allen Weltmeeren und in Europa. In Europa war der 7-jährige Krieg Teil der sogenannten Schlesischen Kriege, in denen Preußen unter Friedrich II im heiligen Römischen Reich (es gab noch kein Deutschland, so wie wir es heute kennen) die Habsburger Thronfolge Österreichs anfechtete um neben Österreich zu einer weiteren "deutschen" Staatsmacht aufzusteigen.

So kämpften die Verbündeten: Russland, Frankreich, Schweden und die Mehrzahl der Reichsfürsten auf österreichs Seite, während Hannover, Braunschweig, Hessen-Kassel und Sachsen-Gotha sich auf die preußische Seite stellten. Das nassauische Reichelsheim stand in diesem Konflikt gezwungenermaßen auf Seiten der Franzosen und Österreicher, während die umliegenden Ortschaften hessisch und somit preußisch orientiert waren.

Zu Beginn des Krieges war es den Franzosen gelungen im Nordwesten des Reiches erhebliche Erfolge zu erringen. Den übermächtigen Franzosen stand eine bei weitem schwächere alliierte Armee (Hannoveraner, Hessen, Braunschweiger, Gothaer, Lippe-Schaumburger und einige tausend Preußen) gegenüber.

Wenn auch Reichelsheim (glücklicherweise) nicht unmittelbar vom Kriegsgeschehen betroffen war, so hatte es doch einiges an Kriegslasten zu tragen ... siehe Stadtarchiv Reichelsheim Findbuch Seite 26 Konv 8 Fasz 6

Auch im Landesarchiv finden sich Akten --> https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction.action?detailid=v1276537

Nach der Schlacht bei Bergen (Bad Vilbel) am 13.04.1759 zogen sich die Alliierten über Windecken in nördliche Richtung zurück und bezogen am 17.04.1759 in der Gegend Leidhecken, Blofeld, Bingenheim Stellung und Quartier. Im Tagebuch des Leutnants Heinrich Urban Cleve ist zu lesen "Alle Brücken über die Nidder wurden von uns abgebrochen. Wir marschierten Reichelsheim vorbei . . . mit stetigem charmutzieren setzten wir unseren Marsch fort und mußten sehr oft Front gegen den Feind machen. Es verfolgte uns der Feind bis Bingenheim ..."

Am 18.04.1759 trafen die nachstoßenden Franzosen bei Bisses auf die Hauptmacht der Arrièregarde (Nachhut) aber auch in Bingenheim, Echzell und im im Bereich der Bilgesheimer Mühle kam es zu Scharmützeln mit den Franzosen.

Im Kirchenbuch ist die Bestattung eines Verletzten dokumentiert, welcher in Reichelsheim bis zu seinem Tode gepflegt und dort begraben wurde:

Hamburger, Andreas, geb. um 1730 in Bodenheim, gestorben 23.04.1759, beerdigt 24.04.1759 in Rhm., Alter: 29 J.,  
Französischer Husar in des Hauptmann Blum Compagnie, wird in der Schlacht bei Bingenheim tödlich getroffen

1761, im Februar konzentrierte Ferdinand von Braunschweig seine Kräfte darauf, die Franzosen im hessischen Winterquartier anzugreifen, da im Feldzug von 1760 die Alliierten vor allem in Hessen an Boden verloren hatten. Am 6. März schickten die Alliierten drei Kolonnen von Berstadt (zwei am rechten Ufer des Horloff und eine dritte am linken Ufer) in Richtung Echzell und zwangen die Franzosen, sich auf Nieder-Florstadt und Wickstadt zurückzuziehen. Am Morgen des 7. März greift das Corps Kielmansegg bei Hinsbach die Franzosen an und treibt sie bis zum Mittag zurück bis zur Wickstädter Brücke. (siehe auch 500 Jahre Kirche Reichelsheim 1985, S. 33)

Pfarrer R. Zentgraf, Bingenheim schreibt in seinem Aufsatz: „Ein Gang durch die Geschichte von Bingenheim“:
(https://www.facebook.com/photo/?fbid=3584116638299366&set=g.282498951921533) abgerufen am 26.07.2020

Für die Bingenheimer kam dazu noch in besonderer Weise die Last des 7-jährigen Krieges (1756-63): Franzosen und Preußen kämpften bei Bergen, Grünberg, Grüningen und Bad Nauheim. Das Land wurde durch Einquartierungen, Lebensmittel- und Futterlieferungen, Fuhrdienste usw. wiederum ausgesogen. Es ist ein Wunder, daß Bingenheim und Umgebung nicht Schlachtfeld wurden. Denn 1762 wählte der Preußische Generalfeldmarschall, der berühmte Herzog Ferdinand von Braunschweig-Bevern, das Bingenheimer Schloß zu seinem Hauptquartier und den Ostrand der Wetterau von Staden bis etwa Bisses als Stellung für seine Truppen. Kommandeur der Nachhut war der Herzog von Holstein-Gottorp, der im Leidhecker Pfarrhaus lag. Ein Gefecht bei der Bilgesheimer Mühle (nach einem ausgegangenen Dorf genannt) kostete etwa 20 Verwundete und Pferde. 

Aus dem Buch 1200 Jahre Echzell stammt folgender Artikel:

WIEDER UNRUHIGE ZEITEN FÜR ECHZELL von Rudolf Kießling

DER 7-JÄHRIGE KRIEG (1756-1763) WIRFT SEINE SCHATTEN
Die Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Österreich, Friedrich dem Großen und Maria Theresia, um die Provinz Schlesien, scheinbar weit weg, hatten ihre bitteren Auswirkungen auch für unseren Raum. Frankreich als Verbündeter Preußens sah in der Wetterau eine wichtige Basis für die Versorgung seiner Truppen, die nach dem Prinzip "der Krieg ernährt den Krieg" gerade der Landbevölkerung erhebliche Opfer abverlangten. Darüber erfahren wir erschütternde Einzelheiten aus den Aufzeichnungen des Pfarrers Christian Friedrich Schwarz aus Echzell, dem späteren Professor in Heidelberg und Schwiegersohn des bedeutenden Marburger Professors Jung-Stilling, sowie von Pfarrer Philipp Theophil Brodreich aus Leidhecken. 1758 hatten die Franzosen in dem Raum zwischen Frankfurt und Gießen Winterquartier bezogen. In Friedberg waren große Magazine aus Beständen der Wetterau angelegt worden. Lassen wir den Chronisten Pfarrer Brodreich zu Wort kommen: "Anno 1759 auf Karfreitag fiel eine blutige Bataille zwischen den Franzosen und den Alliierten bei Bergen, fünf Stunden von hier . Jedoch, obgleich sich die Ersteren den Vorteil zuschrieben, so ist doch kein Teil dem anderen gewichen. Die Deutschen zogen sich endlich aus Mangel an Lebensmitteln zurück, wie denn am dritten Ostertag die Deutschen in Stärke von ca. 40.000 Mann zwischen hier und Bingenheim campierten. Prinz Ferdinand als Generalissimus lag im Bingenheimer Schloß, der Erbprinz von Braunschweig, in Herrn Rentmeister Cramers Behausung (in der Vorburg des Schlosses). Der Prinz von Holstein Gottrop aber, welcher die Arrièregarde (Nachhut) kommandierte, hier im Pfarrhause. Den Tag hernach fielen die Franzosen in die Arrièregarde, so daß es zwischen hier und Bingenheim zu einem heftigen Scharmützel kam. Es blieben zwar viele Pferde, aber nicht viel Mannschaften, wie denn etwa 18 Mann, meistens Franzosen, schwer blessiert und totgeschossen wurden." 1759 fouragierten die Franzosen wieder unter höchstem Druck ihre Truppen aus den Erträgnissen dieser Gegend. „Vieles war im Walde in Sicherheit gebracht worden. Im Anfang des Septembers 1762 stieg die Not hier herum aufs höchste, wie die beiden Armeen, sowohl französische wie alliierte, in hiesiger Gegend marschierten. Die alliierte Armee stund auf dem hiesigen Felde bis Bingenheim. Die Vortruppen erstreckten sich bis Windecken. Die französische Armee stund bei Friedberg und Nieder-Wöllstadt gelagert. Es ereigneten sich täglich Scharmützel. Staden wurde bombardiert, doch ohne Schaden des Ortes; alles auf dem Felde und in Schanzen fouragiert, wo die Armee 14 Tage gestanden."

Die Bingenheimer Kirchenakten führen folgendes Beerdigungsprotokoll:

"1759, den 26. April, ist ein hessischer Soldat, seinem Vorgeben nach von Marbach bei Marburg gebürtig unter 10-Uhrgeläute in der Stille begraben worden. Er war in dem am 18. April hier vorgefallenen Scharmützel mit einer Kugel im Kopf hart blessiert. Er wurde vom hiesigen Amtschirurgo täglich verbunden und vom hiesigen Ort mit der nötigen Pflege und Wartung versehen, starb aber er am 25. April 1759". 

Möglicherweise soll das heute stark verwitterte Steinkreuz am Ortsausgang von Bingenheim nach Leidhecken eine Erinnerung an dieses Ereignis sein.
siehe --> http://www.kreuzstein.eu/html/body_bingenheim.html


In der elektronischen Bibliothek der Justus Liebig Universität Gießen findet man zu diesem Thema in der Schriftenreihe "Jahresbericht des Oberhessischen Vereins für Localgeschichte" folgende Artikel:


Dokumentiert sind in der Wetterau drei größere Gefechte:

  • Am 13. April 1759 kam es zur Schlacht von Bergen, die hauptsächlich auf den Berger Wiesen, aber auch auf dem Gelände des Vilbeler Waldes und des heutigen Niederberges geschlagen wurde. Mehr als 6000 Menschen verloren an diesem einen Tag ihr Leben. die alliierten Angreifer mussten sich den belagernden Franzosen geschlagen geben.
    Diese Schlacht ging als das Karfreitagsgemetzel in die Geschichte ein. Alljährlich am Karfreitag lädt der Geschichtsverein Bad Vilbel zu einer Erinnerungsveranstaltung ein.
  • 21.03.1761 Gefecht bei Grünberg und Lauterbach
  • 1762 die Schlacht am Johannisberg rund um Bad Nauheim. Am 30. August 1762 standen sich französische Truppen unter Führung des Prinzen Condé und Verbündete von Friedrich des Großen unter dem Befehl des Erbprinzen Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig gegenüber. Circa 30.000 Soldaten waren an der Schlacht beteiligt, 3000 Tote waren zu beklagen. Auch hier gingen die Franzosen als Sieger hervor.
    siehe hierzu https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction.action?detailid=v5307392 und https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v1006645

siehe auch http://www.figuren.miniatures.de/schlachten-1756-1763-europa.html hier sind in chronologischer Reihenfolge die Gefechte aufgelistet, wie sie in Günther Gieraths: Die Kampfhandlungen der brandenburgisch-preussischen Armee, 1626–1807 (Berl. 1964) aufgeführt sind.

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