Ortsteil Reichelsheim / Ortsbefestigung

Aus Historisches Reichelsheim

Mit Ortsbefestigung sollen in diesem Artikel nur die Maßnahmen angesprochen werden, welche unmittelbar den bebauten Ortskern betreffen. Dazu gehört die Stadtmauer mit ihren Toren und Türmen als auch der befestigte Kirchhof und nicht zuletzt der Kirchturm. Entlang der Gemarkungsgrenze des Fleckens Reichelsheim gab es eine sogenannte Landwehr, von der es heute keine Überreste mehr zu finden gibt. Lediglich ein im Landesarchiv Darmstadt befindlicher Geometrischer Plan des Fleckens Reichelsheim aus dem Jahre 1761 weißt den Verlauf des Landwehrgrabens als äußere Gebietsgrenze nach.


Als 1665 den Reichelsheimern mit dem Freiheitsbrief die Stadtrechte verliehen und die Einwohner als freie Bürger erklärt wurden, hatte man ihnen aufgegeben, die schon 1354 zum Teil errichtete Landwehr neu aufzubauen und die seit 1420 erbauten, aber durch Kriegswirren zerstörten Stadtmauern, Wälle und Schutztürme neu aufzurichten, die Tore mit Gittern zu versehen und mit Wächtern zu besetzen.

Mit 7 Türmen soll die ehemalige Stadtmauer befestigt gewesen sein. Die Zwinger am Ober- als auch am Untertor dürften jeweils zwei Türme gehabt haben, davon ist aber heute nichts mehr zu sehen.

3 Türme sind heute noch erhalten, und zwar:

  • Rundturm mit angrenzendem Spitzbogentor am Ende der Kirchgasse - Friedhofsturm oder Storchenturm genannt
  • Rundturm in der Turmgasse - Hexenturm genannt
  • Rundturm am Südöstlichen Ortsrand - nennen wir ihn Turm an der Rossgasse, denn er ist gut von der Rossgasse her zu sehen

Im Zusammenhang mit der wehrhaften Funktion der Ortsbefestigung (Mauer und Türme) wäre auch die Kirche und insbesondere der Turm der Kirche mit anzusprechen. Der Turm der Kirche ist mit knapp über 30 Metern insgesamt doppelt so hoch wie der Friedhofsturm. Auf einer Höhe von 22 Metern ist der Turm begehbar und man hat von dort - schönes Wetter vorausgesetzt - einen wunderschönen Blick in die weitere Umgebung. Da die Kirche im (seinerzeitigen) Ortsmittelpunkt stand, konnte man von hier aus alle Stadttore und die Hauptstraßen überschauen.
Es ist überliefert, daß der Kirchhof mit einer hohen Mauer und Türmen befestigt gewesen war. In "Kunstdenkmäler im Grossherzogthum Hessen von Dr. Rudolf Adamy" (Herausgegeben 1895) ist zu lesen: "Der letzte Rest eines Turmes an der Südostseite der Kirche soll erst vor einigen Jahren abgetragen worden sein. 1873 wurde übrigens erst das Gewölbe zum Turm hin durchgebrochen und ein außen am Turm angebrachter Aufgang aus dem Jahre 1750 wurde in diesem Zusammenhang abgetragen. Wie bei größeren Wehrtürmen üblich, war der Zugang ehemals nur von außen über eine Leiter möglich.

Die Reste der Ortsbefestigung mit den Türmen stellen als Sachgesamtheit ein orts- und siedlungsgeschichtlich bedeutsames Kulturdenkmal dar.

Der größte Teil der Stadtmauer ist entlang der Rossgasse erhalten - begründet durch den "großen Brand von 1665":

Aus der Kirchenchronik: „Den 28. Juni 1665 ist morgens um 7 Uhr eine gewaltige Feuersbrunst entstanden, welche in 1 ½ Stunden 68 Gebäude in Brand setzte, davon sind 18 Scheunen samt 3 Wohnhäuser ganz in Asche gelegt worden, die anderen Gebäude sind auch beschädigt; aber doch durch Gottes und benachbarter Hülfe gerettet worden.“

Wer heute durch den Ortskern geht, muss sich das wie folgt vorstellen: Die Bereiche Neugasse, Florstädter Straße, Untere Haingasse, Sandgasse und wohl auch die Kirchgasse, also fast alle Straßen südlich der Kirche waren betroffen. Ein Straßenzug war von dem Brand besonders schwer in Mitleidenschaft gezogen und wurde völlig neu gegliedert. Daher der Name Neugasse.

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Die Grundstücke an der Neugasse sind auch die einzigen, die ohne eine Gasse zwischen den Häusern und der Mauer direkt bis an die Stadtmauern reichten (heute auch darüber weg). Die Scheunen sind dort mit wenigen Ausnahmen direkt auf die teils noch vorhandene Stadtmauer gebaut und nutzen diese als Außenmauer. Anscheinend hat man nach diesem Brand die Grundstücksgrenzen entlang der Stadtmauer an der Neugasse neu gegliedert, um zum Einen die neue Gasse breiter bauen zu können und zum Anderen die Grundstückseigner nicht zu benachteiligen. Die sonst üblicherweise an der Stadtmauer entlangführende Gasse ist damit weggefallen. (siehe den hier links oben abgebildeten Ausschnitt aus dem Katasterplan von 1906 die Neugasse und die Rossgasse betreffend). Im Jahresbericht der Denkmalpflege der Jahre 1910-1913 wurde erwähnt, das bezüglich des Neubaus des Lehrerhauses zur Auflage gemacht wurde, ein Stück der alten Mauer zu erhalten und den Eignern entlang der Neugasse wurde gestattet, kleinere Pforten durchzubrechen, sofern deren Umrahmung nicht aus Backstein hergestellt wird. Im Zuge landwirtschaftlicher Expansion wurde die Stadtmauer dann aber doch nach und nach in großen Teilen weggebrochen. Wie schon weiter oben im Text erwähnt, stellen die wenigen noch vorhandenen Reste der Stadtmauer (im Ausschnitt links unten rot eingezeichnet) ein orts- und siedlungsgeschichtlich bedeutsames Kulturdenkmal dar und sind als solches geschützt.


Im Unterschied zur Neugasse sind entlang der alten Stadtmauer in der Haingasse und der Turmgasse neue Grundstücke außerhalb der Mauer entstanden. Dadurch wurde die Mauer in diesen Bereichen auch fast vollständig entfernt. Die Keller einiger dieser Häuser könnten evtl noch aus Resten der alten Mauer bestehen.

Interessant ist das Grundstück Neugasse 25 (heute - im Jahre 2015 - Familie Opificius) Das Grundstück hat eine außergewöhnliche Form und das darauf stehende Wohnhaus steht schräg zur Straßenachse der Neugasse. Es ist anzunehmen, das durch dieses Grundstück seinerzeit in Verlängerung des heutigen Römerberg die Straße über die Horlofffurt nach Osten führte und dort ein eventuell vorhandenes Tor gestanden haben könnte. Bei Kanalarbeiten vom vorderen Teil des Grundstücks in den hinteren Teil sei man auf keinerlei Fundamente oder überhaupt Steine gestoßen - was bedeutet, daß zufälligerweise an genau dieser Stelle auch keine Mauer gestanden haben kann. Es könnte hier also eine Straße gewesen sein, zu dieser man auch das Wohnhaus seinerzeit ausgerichtet hat. Erahnen kann man das auch, wenn man sich den "Ausschnitt eines Geometrischen Plans aus dem Jahre 1761" anschaut, wobei dieser natürlich immer noch nicht alt genug ist, um den Verlauf der Stadtmauer zu belegen.


Zur Rekonstruktion der alten Stadtbefestigung sind einige, noch vorhandene Pläne und Karten hier aufgeführt:


interessante Links

Internetseite von Alexander Hitz mit einigen aktuelleren Aufnahmen der noch vorhandenen Wehrtürme


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