Ortsteil Reichelsheim / Molkerei

Aus Historisches Reichelsheim

Es liegen heute leider keine Unterlagen mehr vor, die Rückschlüsse auf die Gründung der Molkereigenossenschaft in Reichelsheim erlauben. Lehrer Keller hat in seinem Heimatbuch für Reichelsheim die Molkereigenossenschaft unter den Vereinen aufgeführt. Möglich, daß einige Großbauern und Bauern im Ort einen Verein zur gemeinschaftlichen Vermarktung und Verarbeitung ihrer Milchprodukte gründeten. Rein rechtlich gesehen, darf ein Verein nicht wirtschaftlich ausgerichtet sein. Der Verein selbst kann aber wiederum eine Genossenschaft gründen. Diesbezüglich ist die Genossenschaft eine Sonderform des rechtsfähigen Wirtschaftsvereins.

Lehrer Keller schreibt im Heimatbuch Reichelsheim (geführt von 1930 - 1935): Die 1892 mit 52 Mitgliedern gegründete Molkereigenossenschaft hat in den letzten Jahren ungeheuren Aufschwung genommen. Durch das neue Milchbewirtschaftungsgesetz vom Jahre 1934 wurden der Molkerei einige neue Gemeinden zugeteilt, so daß die Genossenschaft heute über 500 Mitglieder hat.

Diese Molkereigenossenschaft plante - damals am Ortsrand - an der Weckesheimer Straße eine seinerzeit modernst ausgestattete Dampf-Molkerei mit einem Eisraum von beachtlichen 30qm bei 4,5m höhe (135 Kubikmeter) zu errichten. Im November 1893 wurde der Bau genehmigt und von seiner Fertigstellung an diente das Gebäude fast 70 Jahre lang der Verwertung der hiesigen Milchproduktion. Ein sehr schöner bebilderter Wiki-Artikel zu einer Molkerei aus der gleichen Bauzeit ist hier zu finden.

1904 erfolgt für die Molkereigenossenschaft unterhalb der Horloffbrücke in den Wirrgärten auf dem Flurstück 631 die Anlage eines Eisteiches zur Gewinnung von Kühleis für den 135 Kubikmeter großen Eiskeller in der Molkerei.

Neben dem Milchverkauf, produzierte man Sauermilchkäse und -speisequark, Butter und Buttermilch; Trockenquark wurde an Käsereien verkauft. In einer Anzeige aus dem Jahre 1906 wirbt man mit der Produktion feiner Tafelbutter aus pasteurisiertem Rahm. 1904 wurde an der Kreisstraße nach Bingenheim neben der Horloffbrücke ein Eisteich errichtet. 1929 ist das Gebäude durch einen Anbau erweitert worden. Durch die Verordnung über den Zusammenschluß der deutschen Milch-, Fett- und Eierwirtschaft vom 11. Mai 1943 wurden der Molkerei einige neue Gemeinden zugeteilt, so daß die Genossenschaft nun über 500 Mitglieder hatte. In den 30er und 40er Jahren lag damit die tägliche Milchanlieferung zwischen 8000 und 10000 Litern.

Nach dem Zusammenbruch der Wetterauer Großmast und Zuchtanstalt GmbH in den 1950er Jahren wurde deren Areal von der Molkereigenossenschaft erworben und dadurch das Firmengrundstück erweitert.

1959 umfaßt das Einzugsgebiet der Reichelsheimer Molkerei-Genossenschaft außer Reichelsheim selbst die Gemeinden Nieder- Florstadt, Ober Florstadt, Dorn-Assenheim, Beienheim und Weckesheim im Kreis Friedberg sowie Heuchelheim, Blofeld und Leidhecken im Kreis Büdingen. Die Molkerei Reichelsheim hatte im Jahre 1959 eine Anlieferung von 3,7 Millionen Kg Vollmilch gehabt, sie hat im gleichen Jahr 215 484 kg Trinkmilch an Verbraucher unmittelbar abgesetzt und an die Frankfurter Zentralmolkerei 469 680 Kg Vollmilch und 140 003 Kg entrahmte Frischmilch geliefert.
An Käse hatte sie hergestellt:

Speisequark 114767 Kg
40%gen Rahmquark 116537 Kg
20%gen Rahmquark 1624 Kg
10%igen Schichtkäse 165667 Kg

Die Buttererzeugung betrug 102533 Kg. Außerdem wurden 28877 Kg saure Sahne verkauft.
Die Genossenschaft übte auch die Funktion eines Lebensmittelgroßhändlers aus Sie belieferte die Milchkaufleute u.a. mit Pflanzenfett, Pflanzenöl, Margarine, den verschiedensten Käsesorten und mehr.

Als in 1961 der Molkereileiter Eifert verstarb, wurde in der darauffolgenden Generalversammlung der Genossenschaft beschlossen, sich der ZENTRA-Molkerei-Genossenschaft Frankfurt anzuschließen.

Es bestand zwar immer ein zäher Konkurrenzkampf mit den Erzeugnissen anderer Genossenschaften, wobei aber festgestellt werden konnte, daß die Molkerei Reichelsheim nie in Absatzschwieriggkeiten geriet. Im Gegenteil, man bezog noch Rohprodukte anderer Molkereien, um die Nachfrage bedienen zu können.

Aus welchen Gründen auch immer wurde die Molkerei in Reichelsheim nach kürzester Zeit unter ZENTRA geschlossen. Zum 01. Dezember 1962 wurde der Molkereibetrieb stillgelegt und die in diesem Betrieb beschäftigten werden nun regelmäßig mit dem Omnibus zur ihrer neuen Arbeitsstelle nach Frankfurt gebracht.
Die von den Gemeinden Reichelsheim, Nieder- und Ober-Florstadt, Dorn-Assenheim, Beienheim, Weckesheim, Heuchelheim, Blofeld und Leidhecken angelieferte Milch wird nun in die Molkerei nach Nieder Wöllstadt gefahren.

Mitte der 60er Jahre kaufte die Landwirtschaftliche Bezugs- und Absatzgenossenschaft Reichelsheim das Gelände.

2011 wurde das Gelände verkauft, eingeebnet und ein Verbrauchermarkt errichtet. Ein ausführlicher und reichhaltig bebildeter Artikel über die Geschichte der "Genossenschaft" und Abriss des Raiffeisengeländes ist auf http://www.alexanderhitz.de/geschichte_genossenschaft.html zu lesen.



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