Ortsteil Reichelsheim / Kriegerdenkmal 1870/71 / Entstehungsgeschichte und Einweihung des Kriegerdenkmals: Unterschied zwischen den Versionen

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Anmerkungen von H. Beherens:<br>
 
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Die 'Neue Tageszeitung', die die im Kirchenbuch abgedruckten Berichte über die Einweihungsfeierlichkeiten veröffentlicht hatte, war das Sprachrohr des 'Hessischen Bauernbundes' in der Region Oberhessen mit Sitz in Friedberg: ca 80% der evangelischen Bauernschaft gehörten hier dieser berufsgenossenschaftlichen Organisation an. Laut Einschätzung heutiger Historiker vertrat die 'Neue Tageszeitung' politisch monarchisch-autoritäre, antidemokratisch-völkisch-rassische Auffassungen. Vor Allem nach dem 1. Weltkrieg agitierte sie als Sprachrohr gegen die 'demokratisch-marxistisch-pazifistischen Volksverräter' in Berlin und Darmstadt.
 
Die 'Neue Tageszeitung', die die im Kirchenbuch abgedruckten Berichte über die Einweihungsfeierlichkeiten veröffentlicht hatte, war das Sprachrohr des 'Hessischen Bauernbundes' in der Region Oberhessen mit Sitz in Friedberg: ca 80% der evangelischen Bauernschaft gehörten hier dieser berufsgenossenschaftlichen Organisation an. Laut Einschätzung heutiger Historiker vertrat die 'Neue Tageszeitung' politisch monarchisch-autoritäre, antidemokratisch-völkisch-rassische Auffassungen. Vor Allem nach dem 1. Weltkrieg agitierte sie als Sprachrohr gegen die 'demokratisch-marxistisch-pazifistischen Volksverräter' in Berlin und Darmstadt.
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[[Ortsteil Reichelsheim / Kriegerdenkmal 1870/71 / Kriegerfest 9. bis 11. Juli 1910|Festprogramm und Erinnerungsfotos von der Einweihungsfeier]]
  
 
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Version vom 27. November 2020, 14:22 Uhr

Entstehungsgeschichte und Einweihung des Kriegerdenkmals 1870/71 von Reichelsheim

Auszug aus dem Kirchenbuch der evangelischen Kirchengemeinde Reichelsheim (S.390 bis S.396)

Über das aufzustellende Kriegerdenkmal kam es in der Gemeinde zu mehreren Wirren und Unvorsichtigkeiten. Der geeignete Platz für das Denkmal schien auf dem Kirchplatz (alter Friedhof) vor dem an der nordwestlichen Ecke stehenden Ahornbaum zu sein. Andere, aber wenige, dachten an den Marktplatz vor dem Rathaus. Über den Platz an der Kirche kam es zu Verhandlungen mit dem Großherzogl. Kreisamt, besonders aber mit dem Denkmalspfleger, Herrn Prof. Walbe in Darmstadt. Prof. Walbe wollte, und zwar mit Recht, den Ahornbaum geschont haben. Die Menge Leute dahier, wenigstens der größte Teil der Bewohner wollte, der Baum sollte fallen. Da ihnen dies nicht gelang, beschlossen die Mitglieder des Kriegervereins, gestützt auf einen Gemeinderatsbeschluß, wonach dieser nichts gegen die Fällung des Baumes habe - vorausgesetzt war aber die Genehmigung der Behörde, was freilich nicht schriftlich gewährt war - in der Morgenfrüh Montag, den 04. April 1910, den Baum zu fällen. Eine Anzahl junger Leute erklärte sich hierzu bereit, der Kriegerverein wollte für die Strafkosten, wenn solche entstehen sollten aufkommen.
Was unglaublich erschien, wurde in der Nacht zum Montag ausgeführt. Als ich um 1/2 6 Uhr morgens die Freveltat sah, denn es war in der Tat nichts anderes, begab ich mich zu den betreffenden Leuten und hielt ihnen eine rechte Strafpredigt. Die Bewohnerschaft Reichelsheims, welche sich einen besseren Sinn bewahrt hatte, war über diese nächtliche Tat wie ich aufgeregt.
Der Herr Bürgermeister Schmid, den ich rief, konnte es auch nicht fassen, und er mußte als verpflichteter Bürgermeister bei Großh. Kreisamt Anzeige machen.
Das alles waren schwere Tage für mich, wo ich in der Tat den Mut verlor und mich mit den Gedanken beschäftigte, mich nach einer anderen Pfarrstelle umzusehen.
Doch die Unruhe verlor sich. Die Täter der Baumgeschichte kamen in ernste Sorgen. Herr Kreisrat Schl. drohte mit empfindlichen Strafen. Die sonst so stolz durch die Gemeinde schritten, gingen gar bedenklich still. Es fiel auch manches verletzende Wort, wie ich hören konnte, gegen mich. Nun es ist doch nicht zu verwundern, daß Unkraut immer aufschießt.
Herr Kreisrat Schl. kam zur Verhandlung hierher. Herr Prof. Wale litt nicht, daß das Denkmal auf den Kirchplatz kam. Auf meine persönlichen Bemühungen durch diese Unbesonnenheit jener Leute nicht auch uns alle leiden zu lassen, waren erfolglos. Ich reiste selbst nach Darmstadt, alles umsonst. Von einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft, obwohl dies bereits anonym aber erfolglos bereits geschehen war, wurde abgesehen, aber der Kirchplatz war und blieb für dieses Denkmal, zumal seine Formen nicht zur Kirche passen würden, verschlossen. Die Erregung in der Gemeinde wuchs immer mehr, doch schließlich, da das Fest auf den 10. Juli festgesetzt worden und alle Vorbereitungen hierfür getroffen waren, beschloss das Komité, das Denkmal auf den Marktplatz an seinen heutigen Platz aufzustellen. So wurde denn endlich am 27. Juni in der Mittagstunde im Beisein des gesamten Komités und einer Anzahl Einwohner der Grundstein gelegt, wobei ich eine Ansprache hielt, die in ihrem Ernst tiefen Eindruck machte, wie man später sagte. Die Herren Dr.Leun und Postsekretär Zinser hatten Schriftstücke verfasst, welche mit Zeitungen und Postkarten mit Ansichten von Reichelsheim eingemauert wurden.
Unter den vielen Entwürfen zum Denkmal, die eingingen, fand der von Herrn Bildhauer Arthur Zimmer in Kreuznach Annahme. Herr Jakob Dullstein dahier bekam von diesem Bildhauer auf Wunsch des Komités, zu dem auch der Ortsgeistliche gehörte, die Steinhauerarbeiten übertragen. Maurermeister Leonhard Faist führt die Fundamentierungsarbeiten aus. Herr Adolf Coburger I. hat mit vieler Liebe und Sorgfalt, auch mit zäher Energie, die so nötig war in dieser kritischen Tagen, die ganzen Arbeiten, welche die Pläne und Schriftlichkeiten anging, geleitet und geführt. Ihm gebührt aller Dank!
Durch mancherlei Streitigkeiten und Unstimmigkeiten kamen wir dann dem Festtag immer näher. Am 10. Juli 1910 war der Tag gekommen. Die Wochen vorher war viel Regen niedergegangen, so daß wir an schlechte Festtage dachten.. Doch es kam anders. Der 1. freundliche Tag seit kurzer Zeit brach wieder an. Obwohl der Himmel bewölkt war und blieb, so war das Wetter wie zum Fest geschaffen.
Von Gießen war vom Regiment No. 116 Regiment Kaiser Wilhelm II. 16 Spielleute gekommen auf Veranlassung von Herrn Apotheker Hempel, der in der östlichen Wetterau einen Verein ehemaliger 116 gegründet hatte, die beim Fest mit etwa 600 Mann vertreten waren. Dieses wurde von einer gewissen Seite der Hassia (Kriegervereinsverband) nicht gerne gesehen, doch der gesunde Sinn der Bürgerschaft siegte gegen jene Störenfriede. Schon am Sonntag Abend begannen die Feierlichkeiten. Die Festtage mit ihrem Verlaufe sind in unterschiedenen Zeitungsberichten der "Neuen Tageszeitung", dem Blatte des Bundes der Landwirte in unserer Gegend, geschildert.


Vollständiger Text des Zeitungsberichtes der "Neuen Tageszeitung" vom 11. Juli 1910 (wiedergegeben im o.g. Kirchenbuch SS393-395)

Kriegerfest und Denkmalsweihe zu Reichelsheim (Wetterau)

Unser altes Städtchen prangte Samstag, Sonntag und am heutigen Montag in Festschmuck. Die Straßen waren mit frischen Blumen besteckt, Ehrenpforten mit sinnigen Grüßen bewillkommten die herbeieilenden Fremden. Fahnen, zumeist in den Farben des Reiches flatterten lustig im Winde. Aus Anlass der Enthüllung eines Kriegerdenkmals feierte man in Reichelsheim ein Kriegerfest. Und wenn in Reichelsheim Feste gefeiert werden, geht es hoch her …

Am Samstag begann das Fest mit einer Vorfeier auf dem Festplatze. Der Vorsitzende des Gesangvereins "Germania", Herr Vogt S. begrüßte die erschienenen Kameraden und Festgenossen mit einer schwungvollen Rede, in der er hervorhob, daß am Sonntag die Enthüllung des Kriegerdenkmals stattfinden solle. Herr Vogt wies auf die Gründung des Deutschen Reichs hin und ließ seine Rede in ein dreifaches Hoch auf den deutschen Kaiser und den Großherzog von Hessen ausklingen. Bei anregender Unterhaltung und Liedvorträgen des Gesangvereins "Germania" blieben die alten Krieger, ihre Freunde und Angehörigen noch lange beisammen.

Der Hauptfesttag, der Sonntag begann mit einer pietätvollen Gedächtnisfeier für die abgeschiedenen Kameraden. Man handelte nach dem Worte des Dichters und Heldenjünglings Theodor Körner:

„Doch stehst du dann, mein Volk, beglänzt vom Glücke
in deiner Vorzeit heilgem Siegerglanze:
Vergiß die teuren Toten nicht und schmücke
auch unsre Urne mit dem Ehrenkranz.“

Um 3/4 9 Uhr sammelte man sich hierzu zum gemeinsamen Gange nach dem Friedhofe und schmückte dort sechs Veteranengräber mit dem verdienten Eichenkranze. Der Musikverein spielte spielte den Choral 'Jesus meine Zuversicht' und Herr Pfarrer Vogel sprach an dem ernsten Orte ergreifende Worte. Nach dieser Feier , in der etwas Tiefgründiges, Unsagbares lag, bewegte sich der Zug geschlossen in die Kirche. Dort hielt Pfarrer Vogel eine zu Herzen gehende Festpredigt unter allgemeiner Aufmerksamkeit. Zugrunde gelegt war der Text 5, Moses 32, Vers 7. Das Thema war 'Gott und unser deutsches Vaterland'. Herr Pfarrer Vogel zeigte wie Gott unser jetziges Vaterland schuf und was wir als Christen unserem Vaterland schuldig sind. Herr Pfarrer Vogel mahnte zu Treue gegen Kaiser und Reich. 'Opferfreudigkeit, Selbstzucht, brüderliche Liebe, das lasst uns am heutigen Tag aufs neue Geloben. Dann aber, nur dann auch dürfen wir hoffen, daß Gott der unseren Vätern gnädig war, sich auch in Gnaden zu uns und unseren Söhnen bekennen wird, wenn sie hinausziehen müßten. Deutschlands Grenzen zu schützen. Möge das Denkmal, daß wir inmitten der Gemeinde für unsere toten und lebenden Veteranen gesetzt haben, uns stets an die Treue mahnen, die wir bis zum Tode unserem Vaterlande und dem Herrgott dort oben schuldig sind.' - Der Musikverein trug durch mehrere Musikstücke zur Verschönerung des Gottesdienstes bei. Um 1/2 3 formierte sich ein Festzug. Es beteiligten sich daran 34 Vereine mit 26 Fahnen. Eröffnet wurde der Zug von 12 Vorreitern unter Führung des Herrn Ad. Coburger II. der seine prämierte braune Stute ritt. Dann folgte die Schuljugend, hierauf die Ehrenjungfrauen, dann kamen die Veteranen in 3 Wagen. An dem Festzug nahmen auch die Spielleute des Infanterie-Regiments No. 116 (Kaiser Wilhelm) in Gießen teil. Mit recht stattlicher Mitgliederzahl war die Vereinigung ehemaliger 116er vertreten, nicht weniger als 500 Ehemalige marschierten hinter ihrer neuen Fahne.
Am Denkmal begrüßte Herr Adolf Coburger I., der Vorsitzende des Festkomités, der auch die Anregung zur Errichtung des Denkmals gegeben und viel zu dessen Zustandekommen beigetragen, die Festgenossen mit einer schwungvollen Rede, in der er folgende Mitteilungen über die Entstehung des Denkmals machte. Schon im Jahre 1871, am 18. Juni weihte die Gemeinde ein Denkmal ein zu Ehren der damals aus dem Felde heimkehrenden Vaterlandsverteidiger. Es wurde auf der großen Wiese die Friedenslinde gepflanzt. 1874 gründete sich in Reichelsheim ein Kriegerverein, der es sich zur Aufgabe setzte, ein Kriegerdenkmal zu errichten. Im Herbst 1876 wurde für die gefallenen Reichelsheimer in der Kirche eine marmorne Gedenktafel enthüllt. Später wurden mehrfach die Wünsche laut, ein Kriegerdenkmal zu errichten. Aber diese Wünsche scheiterten an der finanziellen Frage. Gelegentlich einer Kriegerversammlung am 12. Februar 1909 wurde der Antrag gestellt, ein Kriegerdenkmal zu errichten. Es wurde eine Kommission gebildet, die die kompetenten Persönlichkeiten zuzog. Diese beschloß endgültig, ein Denkmal zu errichten. Aus einem Wettbewerb, zu dem von 33 Bewerbern über 100 Pläne eingereicht wurden, ging Herr Bildhauer Arthur Zimmermann (Bad Kreuznach) als Sieger hervor. Von der Gemeindebehörde wurde als Standort der Rathausplatz zur Verfügung gestellt. Der Redner dankte allen, die zu der Schaffung des Denkmals beigetragen haben, dem Künstler für sein Werk , der Gemeindebehörde für den Denkmalsplatz und allen Spendern für die Geldbeträge. Der Redner schloß mit den Worten: 'Wir haben das Bewußtsein ein gutes Werk vollbracht zu haben , obgleich wir mit Blücher sagen können, als er in Leipzig spät auf das Schlachtfeld kam: Majestät, wir kommen spät, aber wir sind da!' und brachte ein dreifaches Hoch auf den Kaiser aus.
Die Weiherede hielt Herr Pfarrer Vogel, der das Denkmal als Wahrzeichen echt deutscher Treue und Einigkeit feierte. Er dankte dem Künstler für sein Werk und gab das Zeichen zur Enthüllung des Denkmals. Beim Fallen der Hüllen läuten die Kirchenglocken. Dann fuhr der Herr Pfarrer Vogel fort: 'Die Treue und die Liebe zum Vaterlande über alles! Dem Mutigen gehört die Welt, dem Tapferen die Zukunft!' So Sei geweiht du Denkmal echt deutscher Treue und Einigkeit, jener großen Zeit von 1870-71, unseren tapferen Veteranen zu Ehren, dem gegenwärtigen Geschlechte als ein Werk, das uns zeigt, was uns Deutsche wirklich deutsch und groß gemacht und den zukünftigen Geschlechtern eine heilige Mahnung, unserem Vaterlande die Treue zu halten. Treue bis zum Tode und Liebe bis zum letzten Hauche. Mögen die schwarz-weiß-roten Fahnen allezeit über unserem Denkmal, über unsere Gemeinde wehen. Hierauf wandte sich Herr Pfarrer Vogel an die Veteranen. Als sie ins Feld zogen, sei der Schlachtruf ein freudiges Hurra gewesen und als sie nach Hause kamen, war die Losung: 'Mit Gott, für Kaiser und Vaterland!' Herr Pfarrer Vogel schloß seine wirkungsvolle Rede mit einem dreifachen Hurra auf Kaiser und Vaterland. Der Gesangverein "Germania" (Dirigent: Herr Lehrer Schäfer) stimmte das Weihelied "Kennst du das Land der Eichenwälder?" an, dann übergab der Vorsitzende des Denkmalausschusses, Herr Ad. Coburger I. das Denkmal an den Kriegerverein, in dessen Namen der Präsident, Herr Winter, das Besitzrecht des Denkmals an die Stadt Reichelsheim übertrug. Namens der Stadtverwaltung dankte Herr Bürgermeister Schmid hierfür und versprach daß das Denkmal allezeit in Ehren gehalten werden wird. im Namen des "Hassia"-Bezirks Friedberg legte Herr Donges, Friedberg einen Kranz nieder. Herr Bürgermeister Schmid für Frau Wwe. Johanna Sprengel, Frankfurt, Herr Coburger für die Kriegskameraden von 1870-71, Herr Apotheker Hempel für die Vereinigung ehemaliger Angehöriger des Infanterie- Regiments Wilhelm II.
Das Denkmal, ein Werk der Herren Bildhauer Zimmer, Bad Kreuznach und J. Dullstein, Reichelsheim zeigt einen Krieger, der die Fahne schwingt und sein Gewehr auf den Lauf einer Mitrailleuse (franz. Kartätschen-Geschütz; Vorläufer des Maschinengewehrs) setzt. Am Sockel ist auf der Vorderseite der Reichsadler angebracht, darunter sitzt ein Löwe. Ferner trägt das Denkmal auf der Vorderseite die Inschriften: 'Ihren tapferen Söhnen 1870-71 die Stadt Reichelsheim. Es starben den Heldentod Musketier Eckhold, Friedrich Wilhelm. Musketier Klotz, Heinrich. Gefallen in der Schlacht bei Gravelotte am 18.August 1870.' Die Rückseite trägt die Namen der Veteranen von Reichelsheim.
Nach der Denkmalsweihe begab man sich auf den Festplatz. Nach einer Begrüßungsrede des Herrn Kriegervereinspräsidenten Winter, die in ein Hoch auf den Großherzog ausklang, hielt Pfarrer Vogel die Festrede, die von großer Heimatliebe beseelt war. Die Schaffung des deutschen Geistes erfolgte erst vor ungefähr hundert Jahren. Der Redner erinnerte an das Wirken Arndts, an das Jahr der Hoffnung 1848 und das große Jahr 1870. Seit 40 Jahren haben wir Frieden. Die Weltlage ist ernst. An den deutschen Frauen und Jungfrauen richtete Herr Pfarrer Vogel die Bitte, mitzuhelfen, daß der echt deutsche Geist immer mehr die Leute erfasse und durchdringe. Dieser Tag soll ein Tag der edlen Freude und echten deutschen Geistes sein. Der Rednermahnte, die großen Zeiten nicht zu vergessen, die hinter uns liegen, damit wir wissen, was wir an unserem Vaterlande haben. Wir grüßen heute den echten deutschen Heldengeist und huldigen ihm. Und demgegenüber, wie erbärmlich und elend kommen wir uns vor, wenn wir wegen der kleinen Dinge des Alltagsund des wirtschaftlichen und politischen Lebens das Große vergessen wollten, das uns alle eint und bindet, wenn auch wir durch unsere Unzuverlässigkeit mithelfen wollten, daß Deutschland wieder einmal Spielball fremder Völker würde. Nein, nimmermehr können wir hierzu unsere Hand bieten. Heute wollen wir von neuem dem Vaterlande Liebe und Treue geloben und als äußeres Zeichen unserer Huldigung wollen wir rufen: Unser geliebtes deutsches Vaterland, hoch!
Begeistert stimmte die Festversammlung ein und sang im Anschluß daran die beiden ersten Strophen des Nationalliedes 'Deutschland, Deutschland über alles!'. Aus 50 Gewehren gab die Vereinigung ehemaliger 116er drei Ehrensalven ab. Damit hatte der offizielle Teil sein Ende erreicht und bald war der Festplatz der Ort eines echten Volksfestes.

Am Montag bewegte sich gegen 1/2 3 Uhr nachmittags nochmals ein Festzug durch Reichelsheim. Außer Ortsansässigen beteiligten sich der Kriegerverein Heuchelheim (Wetterau) mit seiner Fahne daran. Auf dem Festplatz gedachte der Vorsitzende des Gesangvereins 'Germania' Herr Vogt, der Veteranen. Er knüpfte an die Festrede des Herrn Pfarrer Vogel an. Besonders der Veteranen ist zu gedenken, die heute unter uns weilen. Wir, die den großen Krieg nur aus der Geschichte kennen, müssen staunen, wenn wir lesen, wie unsere braven Truppen mit einem weit überlegenen Feinde, der die besten Stellungen inne hatte, der die modernsten Geschütze führte, zu kämpfen hatten. Wären sie nicht alle von der Losung beseelt gewesen: Mit Gott für Fürst und Vaterland!, hätten sie nicht treu der Parole gefolgt 'Sieg oder Tod', so wären wir nicht in der Lage, jene große Errungenschaften zu feiern. Den Taten unserer Veteranen haben wir es zu verdanken, daß wir mitten im Kriege, mitten unter dem Donner der Geschütze ein geeintes Vaterland mit einem mächtigen Kaiser an der Spitze erhielten. Weiter müssen wir bedenken, was der welsche Erbfeind aufbot, um unsere braven Truppen zu besiegen, wie er ihnen di wilden Horden der Turkos und Zuaven (afrikanische Kolonialtruppen) entgegenstellte, in der Hoffnung, sie würden unsere braven erzwingen. An die jüngere Generation richtete der Redner die Aufforderung , in den Veteranen ihr leuchtendes Vorbild zu sehen. Er schloß mit einem jubelnd aufgenommenen Hoch auf die Veteranen.
Auch das Volksfest am Montag nahm den denkbar schönsten Verlauf. Die ganze Feier wurde durch keinen Mißton gestört und wird allen Festgenossen in bester Erinnerung bleiben.
Auf ein Huldigungstelegramm an den Großherzog traf folgender Dank ein: Se. Königl. Hoheit der Großherzog lassen den gestern zur Feier des Kriegerfestes und zur Denkmalsweihe versammelt gewesenen Festgenossen zu ihrem treuen Huldigungsgruße herzlich danken. Auf allerhöchsten Befehl … Dr. Wehner
So ging also das Fest in größter Einmütigkeit und Stimmung zu Ende. Alte Wellen der Erregung sind vorüber, und man bedauert allgemein, daß man sich um den schönen Baum gebracht habe. Mögen diese Tage einen Segen hinterlassen.


Anmerkungen von H. Beherens:
Die 'Neue Tageszeitung', die die im Kirchenbuch abgedruckten Berichte über die Einweihungsfeierlichkeiten veröffentlicht hatte, war das Sprachrohr des 'Hessischen Bauernbundes' in der Region Oberhessen mit Sitz in Friedberg: ca 80% der evangelischen Bauernschaft gehörten hier dieser berufsgenossenschaftlichen Organisation an. Laut Einschätzung heutiger Historiker vertrat die 'Neue Tageszeitung' politisch monarchisch-autoritäre, antidemokratisch-völkisch-rassische Auffassungen. Vor Allem nach dem 1. Weltkrieg agitierte sie als Sprachrohr gegen die 'demokratisch-marxistisch-pazifistischen Volksverräter' in Berlin und Darmstadt.

Festprogramm und Erinnerungsfotos von der Einweihungsfeier