Ortsteil Reichelsheim / Kirche / Pfarrscheune

Aus Historisches Reichelsheim

Eigentlich müsste die Überschrift lauten: "alte Pfarrscheune am Römerberg" ... denn das ist die einzig erhaltene ehemalige Pfarrscheune in unserem Ort.

Im Buch "Reichelsheim in der goldenen Wetterau" geschrieben von Hagen Behrens in 1992, wird ab Seite 49 von einem verheerenden Brand berichtet, dem auch die derzeitige Pfarrscheuer zum Opfer gefallen ist:

Die Kirchenchronik weiß zu berichten:
„Den 28. Juni 1665 ist morgens um 7 Uhr eine gewaltige
Feuerbrunst entstanden, welche in 1 1/2 Stunden 68 Gebäude in Brand setzte . . .
Bei diesem Brande ist die Pfarrscheuer sammt allen Ställen eingeäschert worden . . .
Das Pfarrhaus hat auch angefangen zu brennen, ist aber mit Gottes Hülfe erhalten worden.“
1666 wurde eine neue Pfarrscheuer gebaut, teilt Pfarrer Frech mit.
(Übrigens: Diese mittlerweile 326 Jahre alte Pfarrscheuer
kann heute an anderem Orte noch betrachtet werden: sie steht seit Anfang
dieses Jahrhunderts an der Straße „Römerberg“, im Garten der Familie Rohde.)


auf Seite 50 ist diese Scheune mit folgendem Text abgebildet:

alte Pfarrscheune am Römerberg




  Pfarrscheune aus dem Jahre 1666,
  erbaut nach dem großen Brand,
  heute am Römerberg stehend
  (Foto G. Wagner)




Diese Scheune an sich scheint aber sogar noch ein paar Jahre älter zu sein:

folgender Text von Albert Nohl ist der Festschrift "500 Jahre Kirche Reichelsheim" aus dem Jahre 1985 entnommen:

Was die alte Pfarrscheune erzählt:

Der Scheunenbau des Reichelsheimer Pfarrers Steinbach.
In unserer Heimatstadt Reichelsheim/Wetterau wirkte von 1591-1619 der Pfarrer Johannes Steinbach. Er stammte aus Stierstadt bei Ober-Ursel. In der damaligen Zeit war es üblich, daß die Pastoren neben ihrem Amt als Seelsorger noch Landwirtschaft betrieben. Dies war in Reichelsheim um so leichter möglich, weil dort Kirchen- und Pfarrgut reichlich vorhanden war. Ich sage ausdrücklich Kirchen- und Pfarrgut deshalb, da das zwei verschiedene Begriffe sind. Die haben bis auf den heutigen Tage ihre Gültigkeit. Die Einkünfte aus dem Kirchenbesitz stehen der örtlichen Kirchengemeinde zur Verfügung, während die des Pfarrgutes der Besoldung des Pfarrers dienen. Letztere werden an die Kirchenregierung und deren Kasse abgeführt. Wer die Landwirtschaft betreibt, muß auch über die nötigen Ökonomiegebäude verfügen. So war im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts eine neue Pfarrscheune errichtet worden. Der Pfarrer verfaßte eine Inschrift in lateinischer Sprache. In das Holz des Querbalkens über dem Scheunentor schlug man sie ein. Sie lautet:

„Anno Chrlstl MeDlatoris nostri in die conversionis Pauli extruxit Joanne Steinbach pastor huius ecclesiae opera et industria Andreae Pfeilers Fabri lignarii Fulbolensis adiuvantibus cum Joanni Pfeilers Fratre et Joanne Tobaldo. Abgebrochen und wieder aufgebaut 1834 durch Henrich Pfeil und dessen Ehefrau Regina geb. Knor.“

Übersetzt heißt die Inschrift: „Im Jahre Christi unseres Mittlers am Tage der Bekehrung des Paulus errichtet von Johannes Steinbach, dem Pfarrer der hiesigen Kirche, unter Mitwirkung und dem Fleiß von Andreas Pfeil, dem Fuldischen Zimmermann, unter Mithilfe dessen Bruders Johannes Pfeil und des Johannes Tobaldo.“

Nun fragt man sich doch, ob da nicht eine Jahreszahl angebracht wurde. Ja, sie ist vorhanden, nur ist sie versteckt angebracht. Nach einer Spielerei der damaligen Zeit war es üblich, die Jahreszahl in lateinischen Worten zu verstecken. Als ich im Jahre 1929 die Schrift an der jetzt noch stehenden Scheune im Anwesen Römerberg 8 entdeckte, kam mir sofort der Gedanke, daß hier eine Spielerei vorhanden sein müsse. Ich stieg zunächst auf eine Leiter und malte die stark verwitterten Buchstaben mit Kreide nach. Dabei fiel mir auf, daß manche Wörter in ihrer Mitte einen großen Buchstaben hatten, der dort nicht hingehörte. Da wurde mir das Rätsel klar. Ich schloß, M in MeDIatoris bedeutet 1000, das große D im gleichen Wort 500 und das große C in ChrlstI 100. Drei großgezogene I in ChrlstI und MeDIatoris ergaben eine drei. Demnach lautete die Jahreszahl 1603. Diese so erbaute Scheune war 1834 zu klein. Sie wurde auf Abbruch verkauft. Es erwarb sie Henrich Pfeil, der sie in seinem Anwesen auf dem Römerberg wieder aufbaute. Für seinen landwirtschaftlichen Betrieb war sie groß genug. Das obengenannte Anwesen Römerberg 8 war bis um die letzte Jahrhundertwende, also 1900, noch im Besitz der Familie Pfeil. Die damalige Besitzerin, Elisabeth Pfeil, genannt Glaser-Betche, verkaufte damals die Hofreite an den Metzger und Gastwirt Karl Sprengel. Heute ist sie Eigentum der Familie Rohde.

Albert Nohl


Was Albert Nohl hier als Spielerei der damaligen Zeit beschreibt nennt sich Chronogramm und ein solches richtig zu deuten ist nicht leicht, wenn die Schrift schon sehr verwittert ist.
Es gelten hierbei nur die großgeschriebenen Buchstaben, die als römischen Ziffern vorkommenden.

unten der gleiche Balkenabschnitt mit nachgezogenen Zeichen

Wenn man nur den Teil des Spruches „Im Jahre Christi unseres Mittlers am Tage der Bekehrung des Paulus" hernimmt, welcher Tag und Jahr bestimmen soll, dann ergeben die in

Anno ChrIstI MeDIatorIs nostrI in die conVersionis Pauli

hervorgehobenen Buchstaben zusammenaddiert das Jahr 1610

C + I + I + M + D + I + I + I + V

100 + 1 + 1 + 1000 + 500 + 1 + 1 + 1 + 5 = 1610



Wenn man sich nicht darüber einig sein kann, welcher Buchstabe hervorgehoben sein könnte und welcher nicht, so kann man zumindest auf ein Baujahr zwischen 1603 und 1610 schließen. Auf alle Fälle gehört diese Scheune damit zu den ältesten noch erhaltenen Bauwerken unseres Städtchens.

Übrigens: Die Bekehrung des Paulus ist ein christlicher Gedenktag und wird in der katholischen als auch evangelischen Kirche am 25. Januar begangen.

Der komplette Balken nach der Renovierung in 2016