Ortsteil Heuchelheim / Gemarkung / Heuchelheimer Wald

Aus Historisches Reichelsheim

Entnommen der Festschrift zur Gründung der FFw Heuchelheim vom Juli 1953 Seiten 35 bis 41

Der Artikel wurde geschrieben von Horst Günther, Heuchelheim


Dem Besucher der Wetterau wird auffallen, daß die Wetteraugemeinden in ihren Gemarkungen wenig oder gar keinen Wald besitzen. Auch der Heuchelheimer Wald liegt nicht innerhalb der Gemarkungsgrenze, sondern er bildet eine Exklave. Wir haben ihn dort zu suchen, wo wir in östlicher Richtung über Bingenheim hinaus Wald liegen sehen. In diesem großen Waldkomplex befindet sich auch der Heuchelheimer Wald. Manch einer, der diese Zeilen liest, wird sich fragen, wie es kommt, daß der Wald so weit Weg vom Dorfe liegt.

Hierüber sollen nachstehende Ausführungen Aufklärung geben, soweit dies innerhalb der Kürze des mir zur Verfügung stehenden Raumes überhaupt möglich ist.


Der Wald östlich von Bingenheim, Gettenau und Echzell, Welcher sich bis nach Geiß-Nidda hinzieht, war in germanischer sowohl als auch während der römischen Zeit Markwald. „Mark“, ein slawisches Lehnwort, bedeutet „Grenze“. Später bezeichnete man damit ein abgegrenztes Gebiet für einen Stamm oder eine Sippe. Auch finden wir die Bezeichnung „an der Grenze des Landes“, ein Gebiet also mit besonderer militärischer Organfisation zum Grenzschutz, an dessen Spitze ein „Markgraf“ stand wie die in der Geschichte Deutschlands ,bekannten Markgrafen Gero und Hermann Billung. Aus der gesamtdeutschen Geschichte kennen wir auch die Ausdrücke und Begriffe „Ostmark“, „Nordmark“.

Der Markwald bei Echzell und Bingenheim bildete also wohl die Grenze zweier Sippen, von denen eine westlich, die andere weiter östlich dieses Waldes seßhaft war. Besonders während der Römerzeit erfüllte der Wald den Zweck des Mark-, sprich Grenzwaldes. Als die Germanen nach Vertreibung der Römer um 260 n. Chr. hier seßhaft wurden, fingen sie an, das Land um ihre Siedlungen herum zu bebauen. Sie waren schon damals ein Kulturvolk von Bauern. Wo wir heute blühende Dörfer vor uns haben-, befanden. sich früher oft nur Einzelgehöfte-. Das- Ackerbaugebiet um solch eine Einzelsiedlung wurde „Feldmark“ genannt. Mehrere solcher Feldmarken hatten schon im 9. Jahrhundert einen Wald als gemeinsamen Besitz, den sogenannten Allmendwald. In altgermanischer Zeit war aller Stammesbesitz, Aecker und Wiesen wie Wald und Weide Allmende. Die einzelnen „Lose“ der Allmende wurden alljährlich unter die Markgenossen verteilt. und zur Nutzung an die Einzelnen vergeben bzw. verlost. (Daher bis heute der Ausdruck „Lose“).

Daß in alter Zeit jeder große Wald unter dem Gesichtspunkt des Grenzschutzes gegenüber dem Nachbarstamm gewertet wurde, und jeder Stamm eifersüchtig darüber wachte, daß niemand Fremdes sich darin blicken ließ, hatte einen sehr nüchternen wirtschaftlichen Grund. Der Germane war auch, als er längst Ackerbau trieb, sehr stark für seinen Lebensunterhalt auf die Jagd angewiesen. Im Allmend-Markwald hatte jeder Markgenosse ursprünglich unbegrenztes Jagdrecht. Außerdem hatte er bei der Ueberfülle von Wald auch unbegrenztes Holzungsrecht.

Zu karolingischer Zeit waren Echzell und sein Wald zusammengehöriges Königsgut. Hier hatte also niemand „zu gebieten und zu verbieten“ als eben der König. Der Wald war dem Bannrecht des Königs unterworfen. Im Jahre 782 schenkte zwar Kaiser Karl der Große das Dorf Echzell dem Kloster Fulda unter Abt Baugulf, aber nicht den Wald. Die königlichen Beamten von Echzell wurden nun durch Klosterleute ersetzt. Diese waren für die altangesessenen Echzeller wahrscheinlich sehr unwillkommene Nachfolger. Die königlichen Beamten hatten ihnen nämlich weitgehend Freiheit gelassen. Die „Hergeloffenen“ waren zwar jetzt die Grundherren im Dorf, vor denen man ducken mußte, aber im Wald und auf der Heide hatten sie das Nachsehen, denn die alten Echzeller kannten die besten Jagdgründe. Nicht nur das Dorf, sondern der Wald und vor allem die Jagd war darum für den Grundherren bzw. seine Leute begehrenswert. Ohne das Recht „zu gebieten und zu verbieten' in allen Fragen, die den Wald und das Wild betrafen, d. h. ohne den Wildbann, fehlte der Abtei Fulda in Echzell das Wichtigste. Es gab deswegen sicher Reibereien, denn der Ortsansässige behauptete ältere und bessere Rechte zu besitzen als der Abt.

Während der Regierungszeit Kaiser Otto I. war sein Freund und und Oberdiplomat Hadamar Abt in Fulda. Dem auch in, wirtschaftlichen Dingen sehr bewanderten Abte sind sicher genug Klagen über die Echzeller Verhältnisse zu Ohren gekommen. Da er durch ganz Deutschland gereist war, um die Rechtstitel des Klosters auf die weit verstreuten Besitzungen der Abtei zu überprüfen, sah er sofort, daß solche Halbheiten, wie sie die Echzeller Trennung von Dorf und Wald zeigte, oft zur Entfremdung des Klosterbesitzes beigetragen hatten. Er regte deshalb bei seinem Freunde, dem Kaiser Otto I., an, ihm doch auch den Wildbann in Echzell zu übertragen. Diesem Wunsche hat Otto I. im Jahre 951 entsprochen. Er übertrug dem Abt den Wildbann über den Echzeller Wald. (foresta, quae ad achizuvillam pertinet 951). Nun war für das Kloster die Fehlerquelle in Echzell ausgeschaltet. Jetzt durfte nur noch der Abt im Echzeller Markwald jagen und diejenigen, denen er die Berechtigung dazu verlieh. Damit das Wild nicht vergrämt oder sonst die Jagd geschädigt wurde, schloß der Wildbann natürlich die Kontrolle über die Holznutzung, über das Roden des Wald-es, mit ein. Damit waren alle Dörfer der Feldmarken vom Abte so abhängig, daß er praktisch der Landesherr war, wenn auch anscheinend zunächst der Forst Königswald, d. h. Krongut blieb.

Wie schnell beim Selbständig werden der vom König ursprünglich nur belehnten oder in seine Rechte nur auf Zeit eingesetzten geistlichen und weltlichen Herren aus 'delegierten' Rechten selbständige 'Besitzrechte' wurden, lehrt die ganze Geschichte des Mittelalters.

Die ganze Fuldische Zeit über, ja noch bis ins 18. Jahrhundert, lag die Ahndung der Forstfrevel in den Händen des „Märkerdings“. Dieses Märkerding wurde aus Märkermeistern gebildet, welche in den einzelnen Markgemeinden demokratisch gewählt worden waren. Als Vorsitzender galt der Obermärkermeister und dies war in jedem Fall der Abt von Fulda bzw. „von Abts zu Fulde wegen“ dessen Vogt, die Grafen von Nidda. bzw. Ziegenhain und Nidda. Von diesen wird noch in den Weistümern des 16. Jahrhunderts gesagt, daß sie das Recht und die Macht hätten, „zu gebieten und zu verbieten“ und allein dem Forstfrevel, dem schandbaren Aushauen des Waldes in der Nassauischen Zeit zu wehren.

Seit 1450 waren ihre Amtsnachfolger und Erben die Landgrafen von Hessen, die, nachdem sie während der Reformation evangelisch geworden waren, auf Anordnungen der Abtei in Fulda kaum noch Rücksicht nahmen. Die Französische Revolution 1789 ff. hat mit ihren Idealen auch auf Deutschland übergegriffen. Auch in unseren Gemeinden wurde der Wunsch nach Freiheit, Unabhängigkeit und Selbständigkeit wach. So blieb das Begehren nicht aus, den bisher gemeinsam genutzten Wald aufzuteilen, um dann den erhaltenen Teil in eigene Verwaltung der Gemeinde zu übernehmen und zu nutzen. Im Jahre 1847 kam es deshalb zum Teilungsrezeß des sogenannten Bingenheimer Markwaldes. In der Rezeß-Urkunde heißt es in § 1: „Die ihrem Ursprung und allmähligen Ausbildung nach weit in das Alterthum sich erstreckende, mit den Echzeller und Berstädter Marken früher wohl in näherem Zusammenhang gestandene Bingenheimer Mark, umfaßt in zwei getrennt, doch nahe gelegenen Waldtheilen, Bingenheimer Mark und Hohenberg genannt, einen Flächengehalt von 2619 Normalmorgen, enthält bei sehr ungleichem Waldbestand, alle hier gewöhnlichen Holzarten, steht acht in- und ausländischen Gemeinden der Kreise Nidda, Friedberg, Hungen und des Großherzoglich Nassauischen Amts Reichelsheim eigenthümlich zu und wurde unter Leitung der Großherzoglich Hessischen Behörden seit undenklichen Zeiten von einem Märkervorstande nach den Bestimmungen einer besonderen Markordnung verwaltet“. Und in § 2 heißt es unter anderem: „Dem Fortschritte huldigend, trugen die betheiligten Gemeinden schon im Jahre 1836 auf Theilung nach dem Gesetz vom 7. September 1814 an, dem Gesuch wurde durch Bestellung eines Theilungs-Commissärs von der höchsten Staatsbehörde entsprochen“.

Der Wald wurde nach den erforderlichen Feststellungen und Vorarbeiten daraufhin in acht Teile geteilt, und zwar wurden die Gemeinden Dauernheim, Bingenheim, Leidhecken, Beienheim, Reichelsheim, Weckeshelm, Heuchelheim und Blofeld mit Anteilen aus diesem Walde bedacht. Die Gemeinde Heuchelheim erhielt 169 Morgen. Bei der Verteilung des Waldes blieb es nicht aus, daß einige Gemeinden Flächen mit gutem und wertvollem Holzbestand bekamen, während andere mit schlechteren und weniger dicht bestandenen Anteilen vorlieb nehmen mußten. Auch Heuchelheim erhielt einen Anteil, der nur einen geringen und dazu noch jungen Holzbestand aufwies. Dafür wurde es von der Gemeinde Beienheim, die einen besseren Anteil erhalten hatte, mit einer Summe von 10334 fl. entschädigt. Auf diese Weise wurde versucht, die einzelnen Teilhaber gleichzustellen. Die Urkunden und Unterlagen beweisen uns also, daß auch die Wetterau-Gemeinden Heuchelheim, Weckesheim und Beienheim im Besitze von Wald sind, auch wenn sich dieser weit außerhalb ihrer eigentlichen Gemarkungsgrenze befindet.

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Quellennachweis

  • Zentgraf: Forschungen zur Geschichte der Fuldischen Mark.
  • W. Diehl: Hassia Sacra, Baubuch für evangelische Pfarreien
  • Landau: Beschreibung des Gaues Wettereiba.
  • H. Wagner: Kunstdenkmäler im Großherzogtum Hessen.
  • Teilungsrezeß über den Bingenheimer Markwald; Vogelsberger Heimat (Nr. 2 Jahrgang 1937).