Georg Schieferstein KG - Zweigniederlassung Reichelsheim

Aus Historisches Reichelsheim
Verwaltungsgebäude der Georg Schieferstein KG - Zweigniederlassung Reichelsheim von 1958 bis 1970 mit dem "Sensenmann" auf der nördl. Giebelseite.

Die Wetterau war seit jeher für die Licher Landmaschinen-Handlung Georg Schieferstein KG ein wichtiger Absatzmarkt. Für die Bauern war es im Falle einer Reparatur jedoch recht umständlich die dortige Werkstatt aufzusuchen, bzw. hatten die Werksmonteure lange Anfahrtswege, wenn es galt Defekte vor Ort zu beheben. Als man von der Schliessung der Firma Sprengel in Reichelsheim erfuhr, erkannte der Gebietsvertreter Erwin Keller sofort die strategisch günstige Gelegenheit und bedrängte seinen Chef und Finanzvorstand Karl Schieferstein den Betrieb aufzukaufen und zu einem Stützpunkt vor Ort auszubauen. Eine Investition, die sich lohnen sollte, zumal man die Stammkundschaft der Fa. Sprengel mitübernehmen konnte.

Mit einem 4-Seitigen Artikel in der WZ vom 08.05.1958 präsentierte sich die Schieferstein KG der hiesigen Wetterauer Bevölkerung und verkündete die Eröffnung einer Filialstelle in Reichelsheim.

Im letzten Absatz ist zu lesen:
Bürgermeister Nohl und die Gemeindeväter, aber auch die übrige Einwohnerschaft, begrüßen lebhaft den Entschluß der angesehenen Licher Maschinenfabrik Schieferstein, in bester Ortslage einen Zweigbetrieb zu eröffnen. Allein schon aus gewerbesteuerlichen Erwägungen. Nicht nur, daß man sich von dem Unternehmen selbst eine willkommene Aufbesserung der Gemeindefinanzen verspricht, wird dieser Betrieb im Zeichen der ständig fortschreitenden Technisierung auf dem landwirtschaftlichen Sektor auch viele Interessenten aus den Nachbarorten anlocken, deren Besuch wiederum dem ortsansässigen und leistungsfähigen Gewerbe zugute kommen dürfte. Sollte dann auch noch in diesem Zweigbetrieb des, Licher Werkes die Produktion landwirtschaftlicher' Maschinen und Gerätschaften aufgenommen werden, dann ist - und diese Hoffnung hegt nicht nur Bürgermeister Nohl - auch mit der Schaffung neuer und krisenfester Arbeitsplätze in diesem allem Fortschritt aufgeschlossenen Gemeinwesen zu rechnen.




In Erinnerung an die über 100-jährige Firmen- und Familiengeschichte ludt der Heimatkundliche Arbeitskreis Lich am Freitag, den 7.11.2014 um 19 Uhr im Stadtverordneten-Saal des Rathauses Lich zu einem Vortrag über die ehemalige Landmaschinenfabrik "Georg Schieferstein KG" ein, zeitweilig Lichs größtem Arbeitgeber mit Niederlassung in Reichelsheim.

Den Vortrag hielt Fritz Struckmann.


Auszug aus der umfassenden Dokumentation (Reichelsheim betreffend):

Geschichte(n) der Landwirtschaftlichen Maschinenfabrik Georg Schieferstein KG

geschrieben von Fritz Struckmann, 71287 Weissach im Oktober 2012


Die Wetterau war seit jeher für die Licher Landmaschinen-Handlung und Fabrik Georg Schieferstein KG ein wichtiger Absatzmarkt. Als zuständiger Gebietsvertreter hatte Erich Keller aus Laubach-Freienseen seine Kundschaft vom Stammsitz in Lich aus betreut. Für die Bauern war es im Falle einer Reparatur jedoch recht umständlich die dortige Werkstatt aufzusuchen, bzw. hatten die Werksmonteure lange Anfahrtswege, wenn es galt Defekte vor Ort zu beheben. Als Keller von Erwin Marloff, einem seiner Reichelsheimer Kunden, von der Schließung der Firma Sprengel erfuhr, erkannte er sofort die strategisch günstige Gelegenheit und bedrängte seinen Chef und Finanzvorstand Karl Schieferstein den Betrieb aufzukaufen und zu einem Stützpunkt vor Ort auszubauen - eine Investition, die sich lohnen sollte, zumal man die Stammkundschaft Sprengels gleich mitübernehmen konnte. Für die Bauern in der Wetterau war die nachbarschaftliche Präsenz durchaus ein zusätzliches Kaufargument, das sich auch in den Umsätzen Kellers widerspiegelte. Um den Ansprüchen der Schieferstein KG zu genügen, waren zunächst einige Renovierungsarbeiten und in der Folgezeit auch kleinere Umbaumassnahmen zur Aufnahme des Handels- und Reparaturbetriebes erforderlich. Im Archiv der Gemeinde Reichelsheim ist ein Bauantrag aus 1958 registriert, bezüglich einer Einfriedigung des Geländes mit Toren. In einem 1962 gedrehtem Amateurfilm des Reichelsheimer Sportvereins ist das deutlich erkennbar, wie auch der neue Verputz der Hausfassade. Das Firmenschild wurde ebenfalls ausgetauscht, trägt nun das neue GSL-Logo und stellt die Schieferstein-Filiale als Maschinenhandel dar. Im Werkstattbereich weist ein Zusatzschild die Firma als "Amtlich anerkannten Prüfbetrieb nach § 29 StVZO für Schlepper und Fahrzeuge in der Land- und Forstwirtschaft" aus.

Die grosse Werkhalle war mit Drehbank, Fräse, Stanze, Schweissgeräten, Ständerbohrmaschinen und einer Schmiede-Esse gut ausgestattet. Das ermöglichte neben Reparaturen der landwirtschaftlichen Geräte nicht nur die Produktion einfacher Gerätschaften sondern gelegentlich auch die Unterstützung der Licher Kollegen bei der Entwicklung neuer Produkte. Der schon erwähnte Film von 1962 zeigt auch einige kurze Szenen aus dem Werkstattbereich, unterlegt mit folgendem Kommentar:

"Wir sind hier bei der Firma Schieferstein, Lich, Zweigstelle Reichelsheim. Diese Firma arbeitet im Dienste der heimischen Landwirtschaft. Es wird geschweisst, es wird gebohrt – es muss Wertarbeit geleistet werden."

Die Werkstatt war i.d.R. gut ausgelastet. Ging die Auftragslage in den Wintermonaten mal zurück, verlegte man sich auf die Produktion von Eggen, Tragrahmen für die Schlepper-Hydraulik und ähnlichen Gerätschaften oder unterstützte die Licher Versuchsabteilung u.a. bei der Entwicklung von Salzstreuern. So entstand 1959 in Reichelsheim ein LKW-Salzstreuer-Anhänger für den kommunalen Winterdienst auf Basis eines Düngerstreuers, den man einfach auf ein strassentaugliches Fahrgestell montiert hatte.

Unter der Leitung von Obermeister Görlach arbeiteten in der Filiale Reichelsheim ausser Walter Teis (Meister) noch die Gesellen Rolf Winter, Klaus Erf und Hartmut Semmer. Organisatorisch unterstand die Filiale jedoch der Licher Verwaltung. Insgesamt bestand die Mannschaft meist aus sechs Gesellen, zu denen auch die Zwillingsbrüder Karl und Hans Theiß aus Berstadt gehörten, Peter Marzinkowski und desweiteren ein bis zwei Auszubildende, zuletzt Udo Freitag und Karl-Heinz Schönwolf aus Beienheim. Als Werkstatt-Schreiber agierte ein Herr Bogmann, während das Sekretariat Frau Gretel Lauster aus Gettenau unterstand. Später löste Erich Simon aus Blofeld Meister Teis ab und bezog zugleich die Wohnung im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes.

Auf der DLG-Ausstellung 1959 in Frankfurt bot die Schieferstein KG nach Jahrzehnten erstmals wieder eigene Acker- und Saateggen sowie Eggentragrahmen zum Anbau an die Traktor-Dreipunkt-Hydraulik an. Das könnte daraufhindeuten, dass man sich hier aus dem Fundus der Firma Sprengel bediente. Für die Lackierung dieser Geräte gab es eigens ein Tauchlackbecken in einem Anbau hinter der Werkhalle. Die Handelsabteilung der Schieferstein KG, so auch die Reichelsheimer Filiale, vertrieb ausser den hauseigenen Dünger- und Kalkstreuern, Eggen, -Tragrahmen,und Stalleinrichtungen auch Miststreuer von Stille (Münster), Pflüge der Firmen Ventzki (Eislingen) und Kverneland (Norwegen), sowie Mähdrescher von Glas (Dingolfing), Fahr (Gottmadingen, heute Deutz), Lanz (Mannheim) und Traktoren der Fabrikate Fahr, Güldner (Aschaffenburg), MAN (Augsburg) und David Brown (England, heute Case), um nur einmal die wichtigsten Produkte zu erwähnen.

Die Reichelsheimer Umsätze im Handel mit Landmaschinen liessen sich sehen, nicht zuletzt wegen der Lage der Filiale inmitten der intensiv landwirtschaftlich genutzten Wetterau, aber auch durch das persönliche Engagement und die fachlich seriöse Beratung von Erwin Keller, an den sich noch heute, nach mehr als 40 Jahren, ehemalige Kunden lobend erinnern. Auf den vergleichsweise grossen Höfen liessen sich auch höherpreisige Geräte, wie Traktoren und Mähdrescher, gut verkaufen, so dass die hauseigenen Düngerstreuer wertmässig nur nachrangige Bedeutung einnahmen, obwohl sich deren Absatzzahlen anfangs ebenfalls nicht verstecken brauchten. Mit Unterstützung der Licher Techniker wurden sporadisch Maschinenvorführungen auf den Äckern potentieller Kunden organisiert und die neuesten Düngerstreuer den Bauern im realen Einsatz näher gebracht. Als sich Anfang der 1960er-Jahre die Nachfrage auf die Kreiselstreuermodelle fokussierte, geriet Schieferstein vor allem gegen die westfälischen "Amazonenwerke" und den niederländischen Konkurrenten "Vicon" technisch ins Hintertreffen, da man in diese technik zu spät eingestiegen war. So musste man nun im Streuergeschäft stetig sinkende Absätze registrieren, denn die vormals so erfolgreichen Kastenstreuertypen wurden meist nur noch zum Ausbringen von Kalk verwendet. Dies versuchte man mit der Fertigung von Stalleinrichtungen, Miststreuern und Güllewagen auszugleichen, mit nur mässigem Erfolg, denn hier sah man sich etablierten Anbietern gegenüber und vermochte keine wirtschaftlichen Produktionszahlen zu erzielen. Das Handelsgeschäft mit den erwähnten Fremdprodukten lief hingegen weiterhin gut und wurde zunehmend zur Hauptstütze der Schieferstein KG.

Deren weitere Diversifikationsversuche bis hin zur Wohnwagen-Produktion hatten für die Reichelsheimer Filiale keine Bedeutung, wohl aber das überregional bekannte, umfangreiche und wohlsortierte Ersatzteillager für landwirtschaftliche Maschinen, das nicht selten selbst von der Konkurrenz in Anspruch genommen wurde. Für die Fahr-Traktoren und –Mähdrescher hatte man ohnehin die Gebietsvertretung übernommen. Die beiden in Reichelsheim stationierten Aussendienst-Mitarbeiter Erich Keller und Richard Marloff erzielten duchschnittlich Umsätze in Höhe von 2,34 Mio. DM/Jahr, wobei allein Keller im Mittel 1,59 Mio DM beisteuerte, in Spitzenjahren auch mal fast 2 Mio. DM. Mit einem VW-"Käfer" als Dienstwagen ausgerüstet, bereiste Keller die Wetterau und den Bereich bis zur Linie Friedberg – Büdingen, während Marloff südlich dieser Linie operierte. Im Vergleich dazu konnte der in Lich stationierter Kollege Willi Keil im Bezirk Lich – nördliches Marburg nur durchschnittlich 1 Mio. DM/Jahr akquirieren. Karl Schiefersteins kleinliche Dienstwagen-Regelung, nach der bis spätestens 19 Uhr die Schlüssel wieder am Brett zu hängen hatten, traf auf wenig Begeisterung und war auch geschäftlich hinderlich, da speziell in der Erntezeit die Bauern erst in den Abendstunden ansprechbar waren. Erst unter Walter Schieferstein wurde dann die Nutzung von Privatwagen gegen Kilometergeld eingeführt.

Angesichts der eigenen guten Umsatzzahlen war man dann am 25. März 1970 in Reichelsheim ziemlich überrascht, als die Kunde vom Vergleichsantrag der Licher Schieferstein KG die Runde machte. Da jedoch die Filiale handelsrechtlich der KG unterstand, war sie trotz guter Bilanzen ebenso betroffen. Das blieb natürlich auch den Kunden nicht verborgen, die sich nun Sorgen um ihre angezahlten und teilweise im Voraus bezahlten Bestellungen machten. Nicht zu Unrecht, denn der Vergleichsverwalter war gesetzlich verpflichtet, im Interesse der Gläubigerbanken die Firmenkonten einzufrieren. Somit war die Schieferstein KG nicht mehr in der Lage die bestellten Maschinen einzukaufen und auszuliefern. Man fand dann ein vertrauliches Abkommen mit dem Vergleichsverwalter, wonach es den Schieferstein-Mitarbeitern ermöglicht wurde, ausstehende Forderungen bar einzutreiben und dieses "Schwarzgeld" zum Ankauf der Maschinen und zur Abwicklung der bestehenden Kaufverträge zu verwenden. Zu diesem Zeitpunkt gingen noch alle Beteiligten davon aus, dass durch das Vergleichsverfahren der drohende Konkurs der Firma abzuwenden sei. Man war also bemüht, das in Jahrzehnten erworbene ausserordentlich gute Vertrauensverhältnis zwischen Kundschaft und Firma nicht aufs Spiel zusetzen.

Im Vergleichsverfahren wurde als Gutachter vom Amtsgericht Giessen die Industrie und Handelskammer bestellt. Die IHK vertrat die Ansicht, dass die ermittelten Summen der Licher Liegenschaften zwar die etwaigen Neuerrichtungskosten widerspiegelten nicht aber potentielle Verkaufserlöse. An dieser Kontroverse scheiterte denn auch das Vergleichsverfahren mit der Schieferstein KG, so dass am 29.6.1970 vom Amtsgericht das AnschlussKonkursverfahren verfügt wurde, da angeblich die gesetzliche Mindest-Vergleichsquote von 30 % nicht gesichert war. Die Schieferstein KG beharrte ihrerseits darauf, nicht nur die von ihr offiziell angebotene Quote von 40 % erfüllen zu können, sondern dass allein aus dem Immobilienvermögen mehr als 100 % der erstrangigen Forderungen abdeckbar sein würden. Wer das realistischere Marktgespür gehabt hatte, die IHK oder die Schieferstein-Bevollmächtigten, lässt sich heute nicht mehr eindeutig klären. Die im Konkurs bzw. in der Zwangsversteigerung erzielten Erlöse sprechen eher für den IHK-Ansatz, andererseits wären bei einer regulären Betriebsübergabe i.d.R. deutlich höhere Preise anzusetzen gewesen.

So ging die Liegenschaft Ende 1970 in den Besitz des Reichelsheimer Metzgermeisters Walter Rühl über, der die Anlage als Option für eine Betriebserweiterung erwarb.