Flucht, Vertreibung und Neuanfang

Aus Historisches Reichelsheim

Ottmar Hachenburger, Beienheim, den 21.08.2022

Die Flucht und Umsiedelung der Deutschen begann 1944 mit dem Rückzug der deutschen Truppen vor der vorrückenden Roten Armee. Viele Deutsche flüchteten aus Ostpreußen, Pommern, Nieder- und Oberschlesien in Richtung Westen. Nicht wenige Flüchtlingen waren Monate unterwegs - meist mit Pferd und Wagen oder zu Fuß. Mitnehmen konnte man nur das nötigste. Alle Eisenbahnverbindungen waren durch die Front unterbrochen und nahezu alle Fahrzeuge bei der Wehrmacht in Gebrauch. Der strenge Winter 1944/45 traf die Flüchtenden sehr hart. Zehntausende starben an Erfrierungen oder Hunger. Auch gerieten zahlreiche Flüchtende zwischen die Fronten oder wurden von Tieffliegern der Alliierten angegriffen. Flüchtlingstrecks wurden durch Kampfhandlungen auseinandergetrieben und Familien voneinander getrennt.
Nach der Kapitulation Deutschlands folgten gewaltsame Übergriffe gegen zurückgebliebene Deutsche sowie deren Vertreibung (Odsun) und Deportation.
1946, mit der organisierten Ausweisung von Deutschen aus der Tschechoslowakei, Polen und Südosteuropa beginnt für viele ein Leidensweg, den man sich ein halbes Jahr nach Kriegsende nicht vorzustellen vermochte. Auch aus Posen, Rumänien, Ungarn und dem Balkan wurden die Deutschen vertrieben. Aber nicht nur Ausgebombte, Flüchtlinge und Heimatvertriebene suchten einen Zufluchtsort, auch ausländische Hilfskräfte der aufgeriebenen deutschen Streitkräfte und ehemalige Kriegsgefangene wollten in Deutschland bleiben. Nach Auflösung der deutschen Streitkräfte hatten hunderttausende deutscher Soldaten keine Heimat mehr und wussten zunächst nicht, wo sich ihre Familien aufhielten.

Ein Großteil dieser Menschen wurde per "Einquartierung" durch die jeweilige Ortsverwaltung auf die zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten bei ortsansässigen Familien verteilt, was nicht selten zu Konflikten führte. Auch wenn es sich um Deutsche handelte - vorerst waren es Fremde und sie waren nicht unbedingt gerne gesehen und wurden auch nicht immer gut behandelt. Die zugewiesenen Unterkünfte waren nicht immer unbedingt behaglich und reichten vom Keller bis unters Dach. Schoppen, Stallungen, Lager- und Abstellräume - Hauptsache ein Dach über dem Kopf.

Die "Neubürger" wurden natürlich auch polizeilich erfasst und erhielten - wenn nicht schon geschehen - einen Flüchtlingsausweis oder eine Kennkarte, worüber auch die Zuweisung von Lebensmittel- und/oder Kleiderkarten erfolgte.

Im April 1945 wurde in Flensburg der DRK-Suchdienst gegründet. Das Schicksal und der Verbleib vieler Menschen war ungewiss. Die Suchdiensthelfer erfassten Anfragen, forschten nach vermissten Angehörigen und bemühten sich über Ländergrenzen hinweg, getrennte Familien zusammenzuführen. Im September 1945 wurde unter dem Namen „Deutsches Rotes Kreuz, Flüchtlingshilfswerk, Ermittlungsdienst, Zentrale-Suchkartei“ der Suchdienst nach Hamburg verlegt und setzte als „Zonen-Zentrale Hamburg“ die Arbeit dort fort. Fast zeitgleich begann in den westlichen Zonen des von den Siegermächten besetzten Deutschlands die Suchdienstarbeit in München, Stuttgart und Saarbrücken. Für jeden ausgestellten Flüchtlingsausweis wurde parallel eine Kartei erstellt, in welcher Herkunft, Name, Religionszugehörigkeit, Geburtsdatum und Ort, letzte Anschrift im Herkunftsland, Ausbildung und Beruf, momentaner Wohnsitz und Familienangehörige unter 14 Jahren anzugeben waren. Der Durchschlag dieser Kartei ging an das jeweilige Kreisflüchtlingsamt des Landkreises und an die Zonen-Zentrale des jeweiligen Sektors. Für uns Hessen war dies die Zentrale in München. So entstand nach einigen Jahren eine "Zentrale Namenskartei" mit mehr als 50 Millionen Karteikarten und Dank dieser Kartei haben Millionen Menschen wieder zueinander gefunden.


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Laut Statistischen Erfassungen waren zwischen 12 und 14 Millionen Deutsche und deutschstämmige aus verschiedenen Staaten zwischen 1944 bis 1946 und 1950 von Flucht und Vertreibung betroffen gewesen.

Links die Vorschau zur Karte "Vertreibung 1945 bis 1950" (© Peter Palm, Berlin) abgerufen auf der Seite der Bundeszentrale für Politische Bildung (https://www.bpb.de/)


Bevölkerungszuwachs der Reichelsheimer Stadtteile:

Datenquelle: Historisches Gemeindeverzeichnis für Hessen: 1. Die Bevölkerung der Gemeinden 1834-1967.
Wiesbaden : Hessisches Statistisches Landesamt, 1968.

1939 1946 1950
Beienheim 564 821 772
Blofeld 207 341 317
Dorn-Assenheim 619 875 905
Heuchelheim 184 318 334
Reichelsheim 890 1414 1514
Weckesheim 603 899 931

siehe unter Statistik der einzelnen Stadtteile auf LAGIS
Link --> https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/gsrec/current/4/sn/ol?q=reichelsheim#heading2


Die Staaten Ost-und Mitteleuropas hatten in ihrem blinden Hass versucht alle Menschen deutschen Ursprungs zu verjagen und haben damit allerdings ihre eigene Volkswirtschaft geschädigt, weil sie auch die Produktiven der Gesellschaft verjagt hatten. Menschen, ohne die der wirtschaftliche Aufschwung in einem Nachkriegs-Deutschland in dieser Art wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre.


Artikel zu dem Thema Flucht, Vertreibung und Neuanfang

Die Vertriebenen und Flüchtlinge, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Beienheim ein neues Zuhause fanden (Ottmar Hachenburger, Beienheim, den 21.08.2022)