Artikel der Rubrik "Damals" / Krieg und Reichsgründung 1870/71
Für den Stadtkurier 15. Januar 2021
Rubrik "Damals"
Verantwortlich und Ansprechpartner für die Rubrik "Damals" ist:
Horst Diehl, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsverein Reichelsheim/Wetterau e.V. (HGV)
Bingenheimer Straße 29
mail-Adresse: h.diehl@web.de
Bildbeschreibung:
Reichelsheim:
Vor 150 Jahren: Gründung des Deutschen Reiches
Im Januar 1871 - nach dem Deutsch-Französischen Krieg - erfolgte die deutsche Reichsgründung infolge des gemeinsamen Sieges der deutschen Staaten im Krieg gegen Frankreich.
Kleiner geschichtlicher Rückblick:
Vorausgegangen waren eine Vielzahl von Auseinandersetzungen zw. Dänemark, dem österr. Kaiser, den deutschen Königen, den souveränen Herzog- und Fürstentümer sowie der freien Städte nach der Gründung des Deutschen Staatenbundes im Jahre 1815. Mitglieder dieses Bundes sollten die deutschen Staaten sein und nicht die Staatsoberhäupter. Vertreten wurden die Staaten durch ihre Gesandten. Wie immer, konnte man sich nicht einig werden. Allen voran Preußen, welches ein Deutschland ohne Österreich anstrebte.
Bis nach der Revolution in Deutschland 1849 hatte Preußen nahezu 50% der deutschen Staaten auf seiner Seite und war damit fast so groß wie Österreich.
1863 gingen Preußen und Österreich noch geschlossen gegen Dänemark vor und marschierten in Schleswig ein, nachdem die Truppen des gesamtdeutschen Bundes die dänisch regierten Herzogtümer Holstein und Lauenburg besetzt hatten.
1866 kam es dann zur Auseinandersetzung zw. Preußen und Österreich. Preußen hatte mit seinen Verbündeten in diesem sogenannten deutsch-deutschen Krieg gesiegt und annektierte die österreichischen Bündnispartner: Das Königreich Hannover, die Herzogtümer Holstein und Nassau, das Kurfürstentum Hessen sowie die Freie Stadt Frankfurt am Main. Daraufhin erfolgte die Gründung des Norddeutschen Bundes unter preußischer Herrschaft.
Im Juli 1870 erklärte der Siegverwöhnte Napoleon III. von Frankreich aufgrund Thronfolgestreitigkeiten in Spanien dem preußischen Königshaus und damit dem Norddeutschen Bund den Krieg. Während dieses Krieges traten die verbliebenen vier süddeutschen Staaten dem Norddeutschen Bund bei und marschierten geschlossen gegen Frankreich. Im September 1870 geriet Napoleon III. in deutsche Gefangenschaft, doch Frankreich bildete eine Ersatzregierung und führte den Krieg fort. Im Dezember 1870 erhob man den preußischen König Wilhelm I. zum gesamtdeutschen Kaiser und erklärte das Deutsche Reich unter Ausschluss Österreich-Ungarns. Am 18. Januar, übrigens der gleiche Tag, an dem Friedrich I. im Jahre 1701 zum ersten preußischen König gekrönt worden war, fand im Schloss zu Versailles die Proklamation des deutschen Kaisers statt - eine nationale Demütigung gegen Frankreich - gleichzeitig feierte man die Gründung des Deutschen Reiches. Das “Zweite Deutsche Reich“ nach dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Deutschland war nun das zweitgrößte Land in Europa und den Franzosen an militärischer Stärke deutlich überlegen. Am 28. Januar ergab sich die französische Hauptstadt formal aber bis zum endgültigen Waffenstillstand sollte der Krieg gegen Frankreich noch bis zum 10. Mai 1871 andauern.
In Erinnerung an diesen Krieg, welcher auch als der letzte der deutschen Einigungskriege gilt, hatten die stolzen Reichelsheimer Kriegsveteranen ein Denkmal in Auftrag gegeben, welches seit der Enthüllung im Juli 1910 das Ortsbild von Reichelsheim maßgeblich bestimmt.
Im Laufe der Jahre hat der Sandstein des Denkmals bereits erheblichen Schaden genommen. Durch Verwitterung sind die feinen Ausarbeitungen an den Bildnissen und den Figuren in Mitleidenschaft gezogen. Einige Teile sind bereits weggebrochen wie z.B. der Unterkiefer des Löwen oder die Enden der Fahnenstange, die der Soldat in die Höhe streckt.
Eine Sanierung des Denkmals war bislang nicht angedacht worden - ein heikles Thema.
Wird in der Öffentlichkeit über das Denkmal diskutiert, so sind sich die Reichelsheimer uneins. Teils wird zunehmend die Meinung geäußert, daß dieses Unikum alles andere als erhaltenswert wäre - eher noch daß diese kriegshetzerische Kultstätte sogar beseitigt werden müsse. Außerdem verdecke es den Blick auf das schöne Rathaus. Andererseits gehört der Krieg 1870/71 und die in dessen Folge allerorts entstandenen Denkmäler unwillkürlich zur deutschen Geschichte. Selbstredend, daß zu Zeiten der nationalsozialistischen Regierung entsprechende Feierstunden am Denkmal abgehalten wurden. Im 3. Reich hatte man dem alten Marktplatz den ehrenvollen Namen "Platz der SA" gewidmet.
Dieses Denkmal hat in den wenigen Jahren seiner Existenz einige Kulturepochen und extremste politische Wirren miterlebt und sicherlich hat es schon längst seine ursprünglichste Bedeutung verloren. Kaum ein Reichelsheimer kennt noch die Männer, die auf einer der Granittafeln verewigt sind (siehe Bild) oder hat einen Bezug dazu. Dennoch ist dieses Denkmal, in Erinnerung an die Zeit der deutschen Einigungskriege, eines der größten und schönsten in unserer ländlichen Gegend. Geschaffen von Reichelsheimer Handwerkern!
Weitere Informationen zu diesem und auch zu weiteren Denkmälern sind hier zu finden --> https://reichelsheim-wetterau-wiki.de/index.php?title=Kategorie:Denk-und_Ehrenm%C3%A4ler
Bild: Tafel der Kriegsteilnehmer 1870/71 am Kriegerdenkmal Reichelsheim