Artikel der Rubrik "Damals" / Flachsernte

Aus Historisches Reichelsheim

Für den Stadtkurier 06. September 2013
Rubrik "Damals"

Verantwortlich und Ansprechpartner für die Rubrik "Damals" ist:
Horst Diehl
Bingenheimer Straße 29
mail-Adresse: h.diehl@web.de


In 1986/87 hatte Herr Gerhard Hofmann im Auftrag der Stadt Reichelsheim unter anderem ein umfangreiches Bilderarchiv erstellt, in dem alte Fotografien und Ansichtskarten aus allen Stadtteilen zusammengetragen und in langwieriger Arbeit dokumentiert worden sind.
Eine Auswahl dieser Bilder wurde nach Abschluß dieser Arbeit wöchentlich im Stadtkurier veröffentlicht und somit allen Bürgern zugänglich gemacht.
Nun - nach 25 Jahren - möchten wir diese Bilder erneut der Öffentlichkeit vorstellen und uns bei allen bedanken, die zu diesem Archiv beigetragen haben.

Wir hatten im Dezember 2012 mit " Weihnachtsgrüße aus Reichelsheim Anno 1950" begonnen und werden nun wöchentlich ein Bild mit der entsprechenden Dokumentation in der Rubrik "Damals" veröffentlichen.

Die Bildbeschreibungen sind lückenhaft oder möglicherweise gar fehlerbehaftet und sind nach damaligem Wissen überliefert und festgehalten worden.
Wir sind für jeden ergänzenden Hinweis dankbar und für jeden Verbesserungsvorschlag offen.


Bildbeschreibung:

Flachsernte Ende der 1930er Jahre

Flachs wurde hier in der Gemarkung noch bis ca. 1950 angebaut. Während des Krieges war Flachs ein sehr wichtiger Rohstoff, zumal Deutschland vom Import bestimmter Waren völlig abgeschnitten war. Flachs war lange Zeit die natürliche Pflanze für die Herstellung von Textilfasern. Über Jahrhunderte hinweg wurde Flachs angebaut. Bis daß man die Baumwollfaser entdeckte – ganz zu schweigen von der Entwicklung der Chemiefaser gab es nicht viel Auswahl.
Flachs ist natürlich auch ein wichtiger Öllieferant - und um die Versorgungslücke hierzulande zu schließen baute man Raps an. Wahrscheinlich war es in erster Linie die Ölfrucht, die dazu führte den Flachs anzubauen und weil man immer versuchte den größtmöglichen Nutzen aus einem Produkt zu ziehen hatte man nach und nach auch herausgefunden, wie man die Halme sinnvoll verwerten kann. Mit der Zeit hatten sich regional „Regeln“ und Arbeitsabläufe als auch spezielle Werkzeuge und Fertigkeiten für den Flachsanbau und dessen Verwertung entwickelt
Die Zahl 100 ist z.B. so eine Regel: Nach überlieferter Tradition wurde Flachs am 100. Tag ausgesät. Nach 100 Stunden beginnt der Samen zu keimen. Etwa 100 Tage später - je nach Witterung - war der Flachs Erntereif.

Eine alte Bauernregel: Den hundertsten Tag aussäen, hundert Stunden im Boden, hundert Tage über dem Boden.

Nach dem „Raufen“ dem Ausrupfen der kompletten Pflanze – wurden diese dann in Bündel kreuzweise zum Nachreifen und Trocknen auf dem Feld aufgestellt.
Nach der Reife wurde der Flachs eingefahren und „Geriffelt“. Unter Riffeln versteht man das Abstreifen der Samenkapseln vom Stängel.
Danach mußte der Flachs „Rotten“ (auch Rösten oder Darren genannt), das geschah je nach Region und Witterung auf unterschiedliche Weise. Entweder man brachte die Flachsbündel mit dem Fuhrwerk dorthin, wo der Boden feucht und wasserhaltig war und brachte ihn nach ca. 8 Tagen auf dem Feld zum Trocknen aus oder man verbrachte ihn gleich auf’s Feld und setzte ihn fein säuberlich ausgebreitet der Witterung aus.
Nach dem Trocknen wurde der Flachs zum „Brechen“ wieder eingeholt. Beim Brechen werden die Leinenfasern vom Holzkern getrennt, der beim anschließenden „Schwingen“ aus den Fasern herausgelöst wurde. Der nächste Arbeitsgang war das „Hecheln“. Bevor die Fasern zum Spinnen gebracht werden konnten mussten sie gerichtet und gereinigt werden. Beim Hecheln wird der sogenannte Flachsbast … nennen wir es gekämmt. Beim dauernden durchziehen durch den Kamm werden die Fasern gespalten und gerichtet, kurze Fasern und Schmutz fällt ab. Die gewonnenen Fasern können nun vielfältig weiterverarbeitet werden.
Oft werden die Fasern auch gleich gesponnen – d.H., sie werden zu einem langen Faden zusammengebracht.
Um daraus nun Stoffe herzustellen muß das gesponnene Garn noch gespult, gehaspelt und gebleicht werden.
All diese Arbeitsschritte erfordern bestimmte Werkzeuge und Fertigkeiten. Teilweise wurden sie in speziellen Berufszweigen ausgeübt, die in unserer Gegend mittlerweile nicht mehr zu finden sind. Die Gewinnung der Faser aus dem Flachsstängel ist zeitintensiv und selbst mit Hilfe moderner Maschinen umständlich und zeitraubend. Wegen der hohen Lohnkosten finden wir hierzulande kaum noch Flachsanbau.

Flachs in allen Aufbereitungsformen ist aber auch heute noch ein begehrter Rohstoff und wird meist aus den östlichen Ländern importiert.


Beim Raufen wurden kleine Stängelbündel im unteren Drittel gepackt und mit einem kurzen Ruck herausgezogen
Die Aufnahme wurde in der Bingenheimer Gemarkung aufgenommen.

Flachs raufen.jpg