Artikel der Rubrik "Damals" / Die Reichelsheimer Mühle

Aus Historisches Reichelsheim

Für den Stadtkurier 12. Januar 2018
Rubrik "Damals"

Verantwortlich und Ansprechpartner für die Rubrik "Damals" ist:
Horst Diehl, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsverein Reichelsheim/Wetterau e.V. (HGV)
Bingenheimer Straße 29
mail-Adresse: h.diehl@web.de


Bildbeschreibung:

Die Reichelsheimer Mühle – Auszüge einer Gedankensammlung von Irene Fleischhauer

Die Reichelsheimer Mühle? Wo ist die denn? Das wird der eine oder die andere aus Reichelsheim fragen. Weder optisch noch bewusstseinsmäßig ist dieses Anwesen heute noch in der Vorstellung der Bevölkerung präsent. Lediglich die Straßenbezeichnung Im Mühlahl weist darauf hin, dass hier eine Mühle gewesen sein muss. Für Jahrhunderte war die Mühle neben Kirche Rathaus und Amtshaus das stattlichste Gebäude in Reichelsheim. Es wird vermutet, dass sie im frühen Mittelalter am Rande einer Siedlung lag, die später wüst gefallen ist und deren Existenz heute noch durch den Flur- später Straßennamen Im Alten Dorf dokumentiert wird. Das alte Reichelsheim mit seiner Stadtmauer endete im Norden vor der heutigen Bad Nauheimer Straße. Die Mühle lag also ziemlich außerhalb. Das Mühlenanwesen bestand – so liest man in alten Dokumenten – aus dem Beutlerschen Hofgut und der Bannmühle Reichelsheim. Seit Kaiser Barbarossas Zeiten gab es den sogenannten Mühlenbann. Das heißt, die Bewohner eines Dorfes oder mehrerer Dörfer mussten ihr Getreide in einer bestimmten Mühle malen lassen. Sie durften zu keiner anderen Mühle gehen, sie waren an diese Mühle gebannt. Der Wasserlauf – in unserem Falle die Horloff – gehörte dem Landesherren. Reichelsheim war nassauisch. Der Herzog von Nassau – Weilburg war die Behörde, an die sich der Müller wenden musste, wenn es Dinge zu klären und Auseinandersetzungen auszufechten galt. Nach dem Krieg 1866, dem „Bruderkrieg“ zwischen Preußen und Österreich, wurde Nassau aufgelöst, weil das Herzogtum dummerweise dem Kaisertum Österreichs die Treue hielt und sich somit auf die Verliererseite gestellt hatte. Reichelsheim wurde also preußisch und hatte ab dann den Großherzog von Hessen-Darmstadt als unmittelbaren Landesherren. Die Bittschriften wurden seitdem nicht mehr nach Weilburg, sondern nach Darmstadt gerichtet. Grundsätzlich bedeuteten diese Besitzverhältnisse, dass alles, was an der Mühle und am Wasserlauf zu tun war, „untertänigst“ erbeten werden und von der „hochwohlgeborenen“ Herrschaft genehmigt werden musste. Technische Entwicklungen und familiäre Misswirtschaft hatten dazu geführt, dass die Reichelsheimer Mühle an einen Investor verkauft worden war, der als erstes die stattlichen Nebengebäude abreißen ließ.

Es ist hochinteressant, z. B. über die Streitigkeiten zwischen den Müllern von Reichelsheim und Bingenheim zu lesen, die bis zu handfesten Prügeleien ausarteten. Das nassauische Reichelsheim war umgeben von solmsischen Ortschaften. Es gab schon im frühen 19ten Jahrhundert Bestrebungen, eine Verbindung von Bingenheim nach Florstadt zu graben, was den Reichelsheimer Müller buchstäblich im Trockenen sitzen ließ. Letztendlich wurden diese Projekte auch durchgeführt, was die Existenz der heutigen „Neubach“ ja erkennen lässt.

Der zu Trockenzeiten immer wieder auftretende Wassermangel brachte die Müller nicht selten in Bedrängnis. Die Bauern brauchten Mehl und Schrot für ihren täglichen Bedarf und die Mühle, an die sie ja 'gebannt' waren, konnte oft nicht mahlen. Wenn nun die Müller flussaufwärts gelegener Mühlen ihr Wasser stauten, um wenigstens stundenweise zu mahlen, dann kam in Reichelsheim gar nichts mehr an. Die geographische und gesellschaftliche Sonderstellung einer Mühle bedeutet auch eine Sonderstellung für den Müller. Rein juristisch gesehen gehörte die Anlage nicht zur Kommune, sondern dem Landesherren.

Henner Bopp (1787-1857) hatte die Mühle von einer Familie Eckhold übernommen. Mehrere Generationen blieb die Erbleihmühle von Reichelsheim in den Händen dieser Familie.

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurden die Wasserrechte, die dem Landesherren gehört hatten, auf den Staat übertragen, der sie wiederum an den Müller weitergab. Die Familie Bopp erhielt einen Geldbetrag, damit der Wasserlauf instand gehalten und die damit verbundenen Ausgaben ordnungsgemäß durchgeführt werden konnten. So konnte man sich einen Generator leisten und auch die Wirtschaftsgebäude aufs Modernste herrichten. Trotz dieser positiven Entwicklung begann der Niedergang der Familie schon in den zwanziger Jahren, als der Hoferbe Heinrich Wilhelm Bopp 1926 vierzigjährig starb und familiäre Zwistigkeiten eine geordnete Weiterentwicklung verhinderten. Die in jeder Generation hohe Kinderzahl der Familie und die damit verbundenen Auszahlungen der Geschwister hatten das Hofland bereits beträchtlich schrumpfen lassen. Viele Schicksalsschläge und auch persönliches Verschulden trieben die Mühle auf den Ruin zu. Schließlich musste alles veräußert werden, und der letzte Müller wurde zum Sozialfall, der im Altersheim in Friedberg starb und ein Armenbegräbnis bekam.


Die Aufnahme entstand, nach dem letzten Ausbau der Horloff im Jahre 1960

Das Foto stammt von Willy Nohl und wurde von Familie Dörfler zur Verfügung gestellt.

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