Artikel der Rubrik "Damals" / Die Horloff und 3 Freunde in den 1930er Jahren

Aus Historisches Reichelsheim

Für den Stadtkurier 12. März 2021
Rubrik "Damals"

Verantwortlich und Ansprechpartner für die Rubrik "Damals" ist:
Horst Diehl, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsverein Reichelsheim/Wetterau e.V. (HGV)
Bingenheimer Straße 29
mail-Adresse: h.diehl@web.de


Bildbeschreibung:

Ein altes Foto. “Die Schönheit liegt im Auge des Beschauers“

Stolz präsentieren sich die drei jungen Reichelsheimer Otto Schäfer, Walther Coburger und Karl Nagel. Die Aufnahme entstand wohl in der Mitte der 1930er Jahre. Die Horloff war zwischen 1903 und 1905 von Gastarbeitern aus Italien und Kroatien neu gegraben worden. Das stark mäandrierende (sich durch das Ried windende) Flüsschen bekam einen neuen, deutlich kürzeren und geraden Lauf. Ziel war es, das Wasser so schnell wie möglich abfließen zu lassen, um die landwirtschaftlich nutzbare Fläche zu vergrößern und die Überschwemmungsgefahr zu verringern. Von Sträuchern und Bäumen wurden die Bachränder frei gehalten. Gras und Heu brauchte man als Viehfutter. Die unmittelbar an der Horloff liegenden Uferflächen wurden von Kleinbauern und Häuslern genutzt, die kein Land besaßen und dafür “die Bach fegten“, das heißt, Schilf und anderen Bewuchs entfernten, alles, was den schnelleren Ablauf des Wassers hindern konnte. Der Kampf gegen die träge, unberechenbare Horloff prägte von je her das Leben der Bauern im Horlofftal.

Im Buch: 1200 Jahre Echzell, schreibt Andreas Wech folgenden Text:
Von Inheiden bis zur Einmündung in die Nidda bei Ober Florstadt erstreckte sich der versumpfte, breite Talgrund. Bis in das späte Mittelalter gab es auf dieser langen Sumpfstrecke nur zwei Übergänge, nämlich von Echzell zum Preulenkopf, wo bereits seit der römischen Besatzungszeit eine gute befestigte Verbindung zwischen dem Reiterkastell und dem Limes bestand, und von Reichelsheim hinüber zum Lohberg zur Bilgesheimer (Bingenheimer) Mühle. (…) Die Straße zwischen Gettenau und Bingenheim ist neuzeitlich und wurde an der gleichen Stelle, wo einst nur ein Holzsteg durch den unwegsamen Sumpf und über die Horloff führte, Mitte des 19. Jh. auf einem erhöhten Damm errichtet.
Der Name „Horloff“ bezeichnet im Althochdeutschen einen Fluss, der durch Sumpfland fließt.

Jahrhundertelang rangen die Menschen diesem Sumpfland ihre Existenz ab, man unternahm Begradigungen, Trockenlegungen, Drainagen. Die Arbeit trug Früchte. Der fruchtbare Boden ließ die Landwirtschaft gedeihen. Trotz des geringen Gefälles der Horloff ab Hungen entstanden entlang ihres Laufes mit Hilfe von Stauwehren zahlreiche Mühlen, die zum Teil bis zu Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts arbeiteten. Seit dem 17. Jh. beschäftigte man sich von Großherzoglicher Stelle her damit, die Sümpfe trockenzulegen, den Boden urbar zu machen, die Landwirtschaft zu intensivieren. In der 2. Hälfte des 20. Jh. wurde mehr und mehr deutlich, dass die Bemühungen, die Niederschläge so schnell wie möglich abzuleiten und die Feuchtigkeit dem Boden zu entziehen, auch negative Auswirkungen hat. Je schneller Drainagen, Gräben und Bäche das Wasser abführen, desto schneller gelangt es in den Rhein, desto intensiver wird die Hochwassergefahr an Mittel und Niederrhein. Hinzu kommt die zunehmende Bebauung überall. Je weniger Versickerungsmöglichkeiten der Niederschlag hat, desto schneller sind die Kanalanlagen überlastet und auch höher gelegene Häuser und Straßen werden überflutet. So begann die Vorstellung Raum zu greifen, dass man die Niederschläge zurückhalten muss, damit das Wasser langsam abfließen kann, besser Grundwasser bildet und weniger Schäden anrichtet. Solche Retentionsflächen zu schaffen, ist in einer hoch agrarisch entwickelten Gegend wie der Wetterau nicht einfach, aber es kann gelingen, wie man beim Bingenheimer Ried sehen kann. Das alles haben unsere drei jungen Männer auf dem Foto aber noch nicht gewusst. Es dauerte etliche Jahrzehnte, bevor diese Erkenntnis Allgemeinwissen wurde.

Nicht vergessen werden sollte der Niedergang der Horloff zum Abwasserkanal in den mittleren Jahrzehnten des 20. Jh.. Es war damals sogar von “Stinkbach“ die Rede. Die HEFRAG in Wölfersheim, welche Braunkohle abbaute und dadurch die Ursache für die Oberhessische Seenplatte schuf, hatte ein Schwelwerk eingerichtet, um aus Braunkohle Teer herzustellen. Die phenolhaltigen Abwässer dieses Prozesses flossen durch den Biedrichsgraben in die Horloff. Das Gewässer war nun nur noch eine Abwasserrinne, die unangenehm roch. Es gab noch keine Kläranlagen. Das Wasser der Horloff stank und hatte verschiedene Farben; montags, wenn die Metzger geschlachtet hatten war es rötlich, oder blau, wenn die Färberei in Hungen ihre Behälter gespült hatte. Aus dem dicken Rohr am Wäschbachgraben floss weiß-grünliche Brühe aus der Molkerei, die dort stand, wo sich heute der Netto befindet. Es gab zwar noch Enten und Gänse, die sind wohl nicht so empfindlich, aber schon lange keine Fische mehr. Es wurde der Vorschlag gemacht, die Horloff im Ortsbereich zu verrohren. Es sollte verhindert werden, dass die Kinder an der “Dreckbach“ spielten. Es wäre niemand auf die Idee gekommen, selbst bei größter Hitze einen Fuß in das Wasser zu strecken. Erst in späteren Jahren wurde die Kläranlage gebaut, und es gab Auflagen für das Einleiten von Abwässern. Langsam begann sich die Situation in und an der Horloff zu verbessern. Der ein oder andere Fisch siedelte sich wieder an. Der Phenolgeruch stieg aber noch jahrelang vom Uferschlamm hoch. Heute wird einiges getan, um die Horloff zu renaturieren. Das ist begrüßenswert. Gewässerexperten stufen “die Bach“ aber immer noch als sehr belastet ein. Es ist zu bedenken, dass die kommunalen Kläranlagen in die Horloff entwässern und die Drainagen aus den gedüngten und gespritzten Feldern tun auch das Ihre dazu. Die Horloff ist “unsere“ Bach, und eine Reihe von Texten und Bildern sind im Internet zu finden. Alexander Hitz, ein engagierter Mitbürger, hat den gesamten Lauf des Flüsschens fotografiert und auf seiner Webseite dokumentiert. Auch Albert Nohl, ein aus Reichelsheim stammender Lehrer, hat vor fast 100 Jahren über die Horloff geschrieben. Seinen Aufzeichnungen ist zu entnehmen, dass es gegenüber des heutigen Bürgerhauses ein kleines Badehaus gegeben habe. Das war vor der Zeit der Verschmutzung und vor der Zeit der gewaltigen Wasserentnahme aus dem Vogelsberg, aus dem ja ein großer Teil des Trinkwassers für Frankfurt entnommen wird. Die Vogelsbergbäche sind entsprechend weniger Wasser führend. Hinzu kommt der Klimawandel mit den heißen Sommern, so dass die Horloff zu einem Rinnsal vertrocknen kann. Aber auch heute ist es noch möglich, dass bei Dauerregen oder Starkregen die komplette Aue überflutet ist. Auch in anderen Anrainerkommunen beschreibt man die Horloff. Sie ist zwar kein spektakuläres Gewässer, aber sie ist das einzige, das wir haben und bietet viele schöne und interessante Anblicke.


Text und Bild: Irene Fleischhauer, Reichelsheim.


Rhm an der Horloff 1930er Jahre.jpg