Ortsteil Reichelsheim / Ziegelei

Aus Historisches Reichelsheim
Luftaufnahme der Ziegelei aus dem Jahr 1957

Bevor der Gesamtkomplex Ziegelei mit Wohn- und Bürogebäude, Ring-Brennofen, Lagerhallen und Maschinenhaus an der damaligen Weckesheimer Straße entstand, existierte dort wohl schon unter dem Ziegelfabrikant Kötter eine Feldbrandziegelei.

Erzählungen von Frau Magda Leidinger geb Schürmann - eine Tochter des letzten Ziegeleifabrikanten in Rhm zufolge, war die Ziegelei von jeher ein Familienbetrieb gewesen.

Ein Familienbetrieb

Bereits aus dem Jahr 1800 ist eine Genehmigungsurkunde im Stadtarchiv vorhanden, die für einen Jacob Brumm das Aufstellen eines Ziegelofens in Reichelsheim nachweist. Im Familienbuch Reichelsheim ist ein Jacob Brunn mit der Berufsbezeichnung Ziegelbrenner aufgeführt, welcher 1756 in Merlau geboren wurde und 1777 in Reichelsheim geheiratet hatte. Brumm oder Brunn, das ist bei der Übersetzung aus dem altdeutschen nicht immer einfach zu entziffern. In dieser Zeit sind weitere Personen mit der Berufsbezeichnung Ziegelbrenner im Familienbuch zu finden, die zum größten Teil nicht in Rhm geboren wurden. Tochter des Jacob Brunn heiratete 1803 den Ziegler Johann Georg Schutt. Aus dieser Ehe gingen fünf Kinder hervor, von denen zwei den Beruf des Ziegelbrenners ausübten. Mit Georg Wilhelm Schutt - dem jüngeren der beiden Brüder endet die Familientradition. Zu dieser Zeit taucht der Name Kötter in Reichelsheim auf. Ob es eine Verbindung zwischen den beiden Familien gibt, läßt sich anhand des Kirchenbuches nicht feststellen. Sicher ist nur, daß auch Heinrich Kötter - welcher die Berufsbezeichnung "Ziegelfabrikant" führt, nicht aus Reichelsheim stammte. Er ist es nun, der nach der großen Feldbereinigung in Reichelsheim an der neu entstandenen Weckesheimer Straße mit dem Bau einer modernen, dampfbetrieben und vollmechanisierten Ziegelfabrik den Schritt in eine neue wirtschaftliche Dimension wagt. Die Familie Kötter scheint groß zu sein - der Name taucht oft auf - aber keiner der Nachkommen verbleibt in Reichelsheim. Laut Magda Leidinger ging Heinrich Kötter nach Züllichau (heutiges Polen). Ihr aus Stagelage (Lippe) stammender Großvater Ludwig Wihelm Bax sei bereits 1903 mit der Ziegelei involviert gewesen. Ludwig Wihelm Bax war Witwer, er hatte vier Kinder und ist in zweiter Ehe mit Henriette Wilhelmine Friederike Kötter verheiratet. Der Verwandtschaftsgrad zu Heinrich Kötter läßt sich nicht erschließen. Zusammen führen sie die Ziegelei in Reichelsheim und Heinrich Bax, der Sohn von Wilhelm Bax, geboren 1888 in Pivitsheide, ist die Seele des Unternehmens. Das bleibt er auch bis zu seinem Tod an Heilig Abend 1949. Auch Frieda, die jüngste Tochter von Heinrich Bax blieb in Reichelsheim. Sie heiratete 1919 den Ziegeleimeister Friedrich Schürmann aus Heide (Lippe). Mit ihm zusammen hatte sie drei Töchter. 1939, Kurz nach der Geburt ihres letzten Kindes verstarb Frieda.
Mit Eintragung in das Handelsregister HRA 653 vom 05. Juli 1940 erfolgt die Eintragung von Friedrich Schürmann als Geschäftsführer.
1940 heiratete Friedrich ein zweites mal.
1958 übernimmt die Familie der ältesten Tochter das Unternehmen.

Annonce aus einer Festschrift

Wenige Jahre nach dem Tod von Friedrich Schürmann im August 1961 trägt sich die Erbengemeinschaft mit dem Gedanken, die Ziegelei zu veräußern. Ziegelsteine sind mittlerweile nicht mehr so gefragt. zu alledem gibt es schon wieder neuere und bessere Verfahren zur Herstellung von Ziegel.

Was kam nach der Ziegelei

1965 wird das Anwesen an die Firma CENTROPA - Karl Heinz Erdmann KG verpachtet.

1969 kommt es zum Verkauf - neuer Eigentümer ist die Firma Karl Heinz Erdmann KG

In den folgenden Jahren werden bis auf das Wohnhaus, das angrenzende Arbeiterhaus und das Maschinenhaus alle Bauten abgetragen und das Gelände weitestgehend verfüllt.

Ende der 1960er Jahre machte die alte Ziegelei von sich reden, als dort eine bekannte Reifenfirma ihre Altreifen in der stillgelegten Ringofenanlage verbrannte.

Im November 1970 fand auf dem Gelände der ehemaligen Ziegelei eine großangelegte Übung der FFw Reichelsheim unter Einbeziehung des THW Friedberg und der Johanniter-Unfallhilfe statt.

Heute ... kann man nicht mal mehr erahnen, was sich in den Jahren bis 1965 hier abgespielt hatte.

Wie kam es zu dem Berufsbild Ziegler

Ziegler gab es schon immer, denken wir nur schon an die Bauten der Römer. Allerdings, nachdem sich die Römer zurückzogen, blieb die Ziegelbauweise bei den Germanen unbedeutend. Denn unsere Vorfahren bevorzugten den Holz-Lehmbau und deckten die Dächer ihrer Häuser mit Stroh. Erst im 12.Jahrhundert kommt die Ziegelbauweise, wenn auch nur vereinzelt in Mode und noch viel später, mit Beginn des 15 Jahrhunderts, entstanden die ersten Ziegeleien in den Städten. Das Mittelalter gilt als Blütezeit des Backsteinbaus. Wie so viele andere Berufszweige auch, waren Ziegler nicht das ganze Jahr über zu beschäftigen und wanderten häufig von Ort zu Ort. Die Fertigkeit Ziegel herzustellen wurde von Generation zu Generation weitergegeben und verfeinert. Durch die Wanderschaft erlangten die Ziegler Kenntnisse aus der Ferne und brachten diese mit in ihre Heimat.

Bei uns auf dem Lande waren es die Tongruben, aus denen sich die Reichelsheimer Bürger ihr Material für den Hausbau holten und ihre Steine mit Lehm und Stroh vermengt selber formten und evtl. auch brannten. Zu dieser Zeit waren die Häuser traditionell in Fachwerk-Bauweise hergestellt und an die Ziegelsteine waren keine großartigen statischen Voraussetzungen gestellt. Oftmals waren die Gefache nur mit einem Holzgeflecht ausgekleidet und mit Stroh armiertem Lehm ausgeschmiert - eventuell auch schon mal mit luftgetrockneten Lehmsteinen ausgekleidet. Der moderne (nicht vergessen - wir befinden uns im 17ten Jahrhundert), massive Hausbau ohne Fachwerk (zumindest das Untergeschoß) benötigte Steine mit ausreichender Festigkeit und Stabilität. Massivlehmhäuser sind eher selten, aber auch bei uns gibt es Häuser dieser typischen, im 18ten Jahrhundert eingeführten Bauweise, bei denen der Lehm ohne Stützkonstruktionen die Lasten selbst abträgt. Der ältere Teil des Gasthof zur Post ist z.B. ein solches Gebäude.
In den Städten hatten sich Ziegelbauten schon lange durchgesetzt und die ersten massiv gebauten Häuser in Reichelsheim entstanden schon lange, bevor irgend jemand an einen Ziegelfabrikanten in Reichelsheim gedacht hatte. Nach dem großen Brand in der heutigen Neugasse im Jahre 1665 wurde erstmals 1689 per Dekret angeordnet, daß Wohnhäuser nicht länger mit Stroh gedeckt werden dürften; "Bey Straf" sollten in Zukunft nur noch gebrannte Dachziegel Verwendung finden. Spätestens seit dieser Zeit mußte in Reichelsheim das Ziegelhandwerk Fuß erlangt haben.

Von der Feldbrandziegelei zur Ringofenanlage

Feldbrandofen 1927 (W. Leinemann; Handwerkliche und industrielle Ziegelherstellung)

Ein Feldbrandofen war keine ortsfeste Einrichtung. Die Steine wurden dort gebrannt, wo sie geformt und gestapelt wurden. Zwischen den einzelnen Lagen der Steine kam ein Brandstoff (meist Kohle) und wenn der Stapel (der Meiler) eine bestimmte Größe erreicht hatte, wurde der Meiler - um unkontrollierte Luftzufuhr zu verhindern - mit Lehm und Erde zugedeckt und angezündet. Während der gesamten Brennphase, die ja nach Größe des Meilers zwischen zwei und sechs Wochen liegen konnte, kontrollierte und regulierte der Ziegler die Luftzufuhr. Die Kunst war, den Meiler so geschickt zu stapeln und das Abbrennen so zu koordinieren, daß eine möglichst große Zahl der gebrannten Steine verwendet werden konnte. Bei einem Meilerofen war die Qualität der Ziegel sehr unterschiedlich, ein Drittel war mit zu hoher Temperatur gebrannt und neigte zum Splittern, ein weiteres Drittel war mit zu niedrigerer Temperatur gebrannt - diese Steine waren porös, verwitterten schnell und brachen oft auseinander. Einzelne Ziegel waren nur zur Hälfte von guter Qualität und somit nur bedingt brauchbar. Auch war der Energieaufwand bei diesem Verfahren sehr hoch.

Abhilfe schafften die Ende des 19ten Jahrhunderts aufgekommenen ringförmigen Brennöfen mit kontinuierlichem Betrieb. Genau solch eine Ringofenanlage baute der Ziegelfabrikant Heinrich Kötter. Von 1902 bis 1906 entstand an der heutigen Bad Nauheimer Str. 39 eine für die damalige Zeit hochmoderne Anlage zur Herstellung von Ziegelsteinen.

Wie in allen Ziegeleien war auch die Arbeit in der Reichelsheimer Ziegelei eine Saisonbeschäftigung. Im Winter wurde nicht gebaut und demzufolge wurden auch keine Ziegelsteine benötigt. Magda Leidinger erzählte, daß man sich immer mit der Zuckerfabrik in Friedberg abgestimmt hatte. Wenn im Herbst die Zuckerfabrik ihren Betrieb aufnahm, wurde die Produktion der Steine eingestellt. Einzelne Arbeiter blieben, reinigten, reparierten und überholten die Maschinen. Die Masse der Beschäftigten wechselte in die Zuckerfabrik. Frühestens im April begannen die Arbeiten in der Tongrube. Meist erst ab Mai wurden tatsächlich Ziegel gestrichen. Die Ziegelei hatte nur wenige feste Mitarbeiter. Die Anzahl der Arbeitskräfte variierte mit der Auftragslage und die Arbeiter wurden jedes Jahr aufs neue gesucht. Nicht selten waren dies Gastarbeiter und kamen von weit her. Im Winter, so erzählt Magda Leidinger, hatte der Vater immer Körbe geflochten.

Tragischer Unfall

Am 30. April 1956 kam es zum einzigen tragischen Unfall mit Todesfolge in der Geschichte der Ziegelei. Der 67 Jahre alte Rentner und Hilfsarbeiter Hermann Meiß verunglückte an einem Loren-Aufzug tödlich. Es wird vermutet, daß der Antriebsriemen des Aufzuges riß und sich in einem Drahtseil verfing. Durch einen heftigen Ruck platzte die gusseiserne Riemenscheibe. Eines der Eisenteile traf den Arbeiter am Rumpf. Er schleppte sich noch über eine Treppe und brach dann an einer Mauer zusammen. Seine Arbeitskollegen trugen ihn in einen Nebenraum. Der sofort herbeigerufene Arzt stellte bereits kurz darauf den Tod fest, ohne daß der Verletzte das Bewußtsein wiedererlangt hatte. (WZ v. 03.05.1956)

Die Grube der Ziegelei als historisch wertvolle Ausgrabungsstätte

mehrfach sind Arbeiter beim Aushub auf frühzeitliche Funde gestoßen. In Zusammenarbeit mit dem Museum Friedberg konnten so wertvolle Erkenntnisse aus den verschiedensten Zeitepochen gesammelt und bewahrt werden.



Zur Geschichte und zum Betriebs- und Fertigungsablauf unserer Ziegelei suche ich noch Bild- und Infomaterial



Internetlinks in Bezug auf das Thema Ziegelei allgemein



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