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Aus Historisches Reichelsheim

Vereinschronik des Gesangvereins Liederkranz - entnommen der Festschrift "110 Jahre Liederkranz" vom Mai 1955

Daß Reichelsheim schon immer ein sangesfreudígesd Dorf war, beweist uns, daß der Verein in diesem Jahr auf sein 110jähriges Bestehen zurückblicken kann. Allen Festteilnehmern sei hiermit kundgetan, welchen Schwankungen der Verein in dieser langen Zeit unterworfen war und mit welchen Schwierigkeíten er vom Tag der Gründung bis in die jüngste Vergangenheit zu kämpfen hatte. Am 21. Februar 1844 fand die Gründungsversammlung und Vorsteherwahl statt unter der Leitung und Aufsicht des damaligen Ortsgeistlichen, Pfarrer Frankenfeld. Die nötigen Statuten wurden entworfen und der Singunterricht den Lehrern Huth und Althen übertragen. Lehrer Althen zog sich aber später von demselben zurück. Am Anfang belief sich die Zahl der Sänger auf 26, im Herbst auf 30. Am Erntedankfest 1844 wurde in der Kirche die erste Probe seiner Leistungen abgelegt und man war damit recht zufrieden. Durch Vermittlung des Geistlichen wurde dem Verein von der herzoglich-nassauischen Landesregierung auf drei Jahre aus Gemeindemitteln Licht und Lokal verschafft.


Die Namen der Gründer sind:

  • Karl Sprengel, Wilhelm Groß, Georg Gerlach, Wilhelm Ulrich, Georg Schutt, Konrad Vogt, Reinh. Stier, Daniel Coburger, Wilhelm Brum, Gustav Vogt, Wilhelm Maley, Philipp Gerlach, Wilhelm Mogk, Heinrich Schutt, Heinrich Haas, Johann Wíllhelm Coburger.


Die Namen der Vorsteher sind:

  • Georg Gerlach, Georg Schutt und Daniel Coburger


Vom Jahre 1845 schreibt die hiesige Pfarrchronik: „Das Jahr 1845 brachte einen mächtigen Aufschwung des Singvereins. Die Zahl der Mitgilieder stieg bis zu 43. Auch Ehrenmitglieder traten hinzu, weshalb die entworfenen Statuten noch erweitert werden mussten. 1848 wurden mit großer Stimmenmehrheit Philipp Gerlach und Konrad Heß als Vorsteher gewählt, wozu bald noch ein Dritter; Josef Horack, kam. Das Sängerfest in Dauernheim wurde besucht, leider noch ohne Vereinsfahne. Schon lange trug man sich mit dem Gedanken, baldmöglichst eine Fahne anzuschaffen. Schon am 20. März 1848 wurde eine Sammlung innerhalb der Mitglieder für die Fahne veranstaltet. Sie ergab 13 Gulden und 21 Kreuzer. Die 39 Ehrenmitglieder zeichneten insgesamt 42 Gulden 51 Kreuzer. Späterhin erklärten sich die Sänger nochmals bereit, 38 Gulden 10 Kreuzer zu spenden. Sie wurden in drei Terminen einbezahlt. Außerdem gab die. Zivilgemeinde einen bedeutenden Zuschuss. Im Juli begannen die Verhandlungen über die Fahnenbeschaffung mit dem Maler und Lackierer Joh. Heinr. Hartmann zu Wiesbaden. Am 18. August wurde der Contrakt abgeschlossen. Der Voranschlag für die Fahne zu machen „- ohne Zeug -“ lautete auf 95 Gulden. Den weißen Seidenatlas zur Fahne lieferte der Handelsmann Jos. Strauß von Weckesheim, der dafür 45 Gulden quittierte. Er hatte schon am 24. März dem Verein 16 Ellen blaues- und 16 Ellen gelbes (die nassauischen Farben) Seidenband für 4 Gulden 16 Kreuzer geliefert. Hiervon wurden die Vereinsabzeichen genäht. Man trug sie stolz um die Brust wie die Studenten heute ihr Couleurband tragen. Am 17. Oktober 1848 erhielt der Fahnenlieferant Hartmann vertragsgemäß 2/3 der Kaufsumme = 70 Gulden 24 Kreuzer als Abschlagszahlung. Am 23. Juni 1847 erhielt er den Rest von 30 Gulden durch die „Herzoglich-Nassauische Postexpedition: Conrad“ zugesandt. Am 7. Oktober 1848 wurde die Fahne wohlverpackt in einer langen, schweren Holzkiste in Wiesbaden zur Bahn gebracht. Als Inhalt war deklariert: "Eine weiße, gemalte und vergoldete Atlasfahne mit Stange und Bronzearbeit, Wert: 160 Gulden.“ Dieselbe wurde auf der Taunusbahn nach Frankfurt befördert und von dort von dem Vereinsdiener Joh. Klotz zu Fuß abgeholt. Dafür erhielt dieser 1 Gulden 40 Kreuzer als Entlohnung. Diesem treuen, für den Singverein unermüdlich tätigen Vereínsdiener sei an dieser Stelle besonders gedacht. Er hatte zeitlebens dieses Amt inne. Wie oft war er nach Weckesheim, Heuchelheim, Leidhecken, Bíngenheim und Dauernheím marschiert, um dort bei den Ehrenmitgliedern des Vereins den Monatsbeitrag von drei Kreuzer einzukassieren oder dieselben für irgendeine Besprechung oder Veranstaltung einzuladen. Am 19. Dezember 1858 erließ man diesem Getreuen den Beitrag, und der Verein bewahrte ihm die Treue. Bei seiner goldenen Hochzeit ehrte er ihn durch Schenken eines hübschen Ruhesessels. Man sang ihm das Lied:

„Freude erhebet, Freude belebet,
heute Dein treues, wohlmeinend Herz,
Auch diese Stunde, gebe Dir Kunde:
Wie gern wir teilen mit Dir Freud und Schmerz.“


Das Jahr 1847 nahte, das Jahr der Fahnenweihe. Der ganze Verein verbürgte sich unter „solidarischer Haftbarkeit für ein zur Bestreitung der bei der Fahnenweihe entstehenden Kosten aufzunehmendes Kapital nebst gehöriger Verzinsung“.
Am 9. Juli lieh daher Johs. Vogt IV, dem Verein 100 Gulden, welche mit 5% Zinsen innerhalb vier Jahren abzutragen waren. Endlich kam der Festmonat Juli. Sämtliche Arbeiten für das Fest wurden gegen Bezahlung geleistet. Die Tannenäste holte man im Berstäidter Wald und zahlte dafür einschließlich Chausseegeld: 57 Kreuzer. Man verbrauchte 9 Gulden für Kordel zum Kränzemachen.

Über die Einweihungsfeierlichkeiten selbst schreibt die Pfarrchronik:
„Die Fahne wurde durch mich (Pfarrer Frankenfeld) feierlich eingeweiht. Es war zu dem Ende vor híesiger Kirche an der Straße eine Tribüne erbaut, wo die Handlung unter Teilnahme von mehreren auswärtigen Singvereinen vor sich ging. Nach der Feierlichkeit zogen die Sängerchöre mit Musik auf die Bleiche vor dem Ort, wo mehrere große Zelte aufgeschlagen waren, und sich ein sehr großer Zusammenfluß von Menschen aus der ganzen Umgegend eingefunden hatte. Hier wurden von verschiedenen Sängerchören noch mehrere Lieder gesungen und mit ungestörtem Frohsinn der Tag gefeiert.“

Der Verein verkaufte für 26 G. 30 Krz. Obstwein. Das Weißbrot hatte der Bäckermeister Jak. Karpp für 18 Gulden geliefert. Die Musik kostete 21 Gulden. So War das Fest der Fahnenweihe zu aller Zufriedenheit verlaufen. Die Fahne, die durch die langen Jahre her sehr Not gelitten hatte und sehr zerschlissen war, ist im vergangenen Jahre mit einem Kostenaufwand von 186 RM von einer Fahnenfabrik ausgebessert und eingenetzt worden und ist somit als ehrwürdiges Denkmal längst vergangener Tage der Nachwelt für lange Zeit erhalten.

Es soll auch hier noch etwas über die Chöre der damaligen Zeit gesagt werden. Die Chorbücher, in die die Lieder mit Tinte eingeschrieben sind, sind noch recht gut erhalten und geben uns Aufschluß, was man sang. Reichelsheim war bis 1866 nassauisch. So gedachte man auch im Liede des Landesfürsten, des Herzogs. Am 20. März 1848 erklang beim Wíllkomm des Herrn Amtmann v. Preuschen, der im Auftrag des Herzogs in Reichelsheim amtierte „Sei uns willkommen, herzlich uns willkommen, Du Mann, auf den so vieler Augen schauen.“ Besonders stellte sich der Singverein jederzeit gern in den Dienst der Kirche. Die Chorbücher weisen daher viele kirchliche Lieder auf, die oben die Bemerkung tragen, bei welcher Gelegenheit sie gesungen worden sind. „Am Neujahrstage 1844, bei der Konfirmation 1845, am Himmelfahrtstage 1845 u.s.f. Es wurden aber auch humoristische Lieder gesungen. Man sang am Ende der Gesangstunde:

„Laßt uns jetzt nach Hause gehen,
Gute Nacht, auf Wiedersehen!
Morgen winkt die Freude wieder,
Tönen lauter unsre Lieder“

und weiter:

„Jetzt Brüder, gute Nacht, der Mond am Himmel wacht,
Und wacht er nicht, so schläft er noch -
Wir finden Weg und Haustür doch,
Und gehen heim in Frieden.“


Daß auch damals schon vom Dirigenten auf regelmäßigen Besuch der Gesangstunde gesehen Wurde, zeigen uns die Kassenabrechnungen. Für Zuspätkommen oder versäumte Singstunden wurden 3 Krz. Strafe gezahlt. Im Jahr 1880 betrug die Einnahme aus Strafgeld: 45 Krz.

Das Jahr 1848, das sogenannte „tolle Jahr“, rückte heran. In vielen Herzen regte. sich der Spuk von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, in allen guten Deutschen der Traum von einem einigen, großen Vaterlande! Diese freiheitliche, nationale Bewegung ergriff auch unsere wackeren Sangesbrüder von damals. Mit Begeisterung stellte man das Lied in den Dienst der anbrechenden neuen Zeit, so daß Herr v. Preuschen, der Amtmann, mit Recht sagen konnte: „Der Gesangverein dient einer revolutionären Sache.“ Man sang:

„Wage fortzuschreiten, da das Glück dir hold,
Laß zu kühnem Streite, flattern: Schwarz-rot-gold!
Um dich zu befeuern, da der Kampf beginnt,
Stehen deine Theuren, Jungfrau, Weib und Kind!“


Man jubelte dem badischen Rebellen Fr. Hecker zu und schrieb über das sogenannte Heckerlied „Toast an Dr. Friedr. Hecker“ zu singen in allen deutschen Gauen. Hier folgt ein Vers: „Hecker, hoch, dein Name schalle an dem ganzen deutschen Rhein ...“, und weiter:

„Ja, wenn einst Dein Atem fliehet und Dein blaues Auge bricht,
Dann liest man auf Deinem Grabe:
Hecker starb und wankte nicht;
Hecker sei als großer Mann,
Unsre Losung nur fortan“


1852 starb der eigentliche Gründer des Vereins, Pfr. Frankenfeld. Man sang ihm am Grabe: „Was Gott tut, das ist wohlgetan.“

1858 nahm der Verein am Sängerfest in Hungen teil.

1860 am Neujahrsabend war Ball, im "Nassauer Hof". Die 28 Sänger trugen "Schlöppcher" (Schlipse), welche Margarete Coburger für 1 G. und 18 Krz. angefertigt hatte. Der Ball brachte 42 Gulden Reinertrag, welchen man sehr gut zu dem im Juli geplanten Sängerfest gebrauchen konnte. Über dieses Fest wird folgendes vom Comitee bestimmt: „Die Vereine werden von Reitern abgeholt und bis zum Rathaus begleitet; dort werden sie vom Festkomitee mit einem dreimaligen Hoch empfangen, begleitet von Musik und Böllerschüssen. Lehrer Huth hält hierauf eine kurze Ansprache. Dann zieht alles in einem Festzuge durch die Stadt nach dem Festplatze, wo vom Vereine und den Gastvereinen Lieder gesungen werden. Hierauf ist Tanz und gesellige Abendunterhaltung. Tanzboden, Zelte und Transparente sind erleuchtet.“

Bis zum Jahre 1883 hatte immer noch der erste Dirigent Lehrer Huth die Vereinsleitung inne. An seine Stelle trat nun Lehrer Jung bis zum Kriegsbeginn 1870. Die Dirigentenentlohnung war gering. Meist erhielt der Chorleiter ein Weihnachtsgeschenk. So bekam einst Herr Huth „einen silbernen Pfeifenkopf und eine Laterne“.

1864 oder 1865 fand in Reichelsheim ein größeres Fest statt, anläßlich eines Jubiläums des Herzogs von Nassau. Da der Singverein in hervorragender Weise dabei mitwirkte, und die Zugordnung auch sonst interessant ist, sei sie hier wörtlich angeführt. Sie lautet:

Die Aufstellung erfolgt vor dem Gasthaus zum "Nassauer Hof" (dem späteren "Gasthof Zur Post") in folgender Ordnung:

  1. Die Ortsfahne, getragen von dem Polizeidiener. Zu beiden Seiten desselben 2 Turner mit Fackeln. Die Trommel des Turnvereins im voraus.
  2. Die 1. Abteilung des Fest-Comitees.
  3. Eine schwarz-rot-goldene Fahne mit 2 Fackelträgern.
  4. Der Gesangverein.
  5. Die Ehrenmitgilíeder des Gesangvereins.
  6. Die Festdamen mit dunklen Kleidern und Bandschleifen.
  7. Alte Veteranen mit Waterloo-Medaille, Soldaten in Uniform.
  8. Die Schuljugend mit den hier anwesenden Lehrern.
  9. Die übrigen Gemeindemitglieder.
  10. Ein Abteilung Turner.

"Zusammenkunft Abends 8 Uhr, wozu ein Zeichen mit der Trommel gegeben wird. Der Zug setzt sich in Bewegung um 6 1/2 Uhr, die Hauptstraße entlang nach dem Platz, an welchem das Freudenfeuer abgebrannt werden soll. Die am Zuge Teilnehmenden stellen sich in einem Halbkreis nach Anordnung des Comitees um den Haufen auf. Auf dem Festplatz angekommen, singt der Gesangverein das Festlied. Nach Beendigung: Festrede. Sobald dieselbe zu Ende ist, wird der Haufen angezündet und sämtliche Teilnehmer singen das Lied: „Nun danket alle Gott.“ Nachdem unter die Schulkinder Wecke verteilt werden, wird der Zug wieder in derselben Weise formiert wie beim Abgang. Beim Rathause angelangt, gehen die Zugteilnehmer auseinander. Abends trägt der Gesangverein im „Nassauer Hof“ noch patriotische Lieder vor, und findet daselbst noch gesellige Unterhaltung statt.“

1866 wird Reichelsheim hessisch.

1869 rüstete man zum 25. Jubiläumsfest. Es fand am 25.Juli statt. Zur Deckung verschiedener Ausgaben bei den Festvorbereitungen lieh Wilh. Steten dem Verein 30 Gulden. Die Festeinnahme betrug 67 Guld. 8 Krz., die Ausgabe 60 Guld. 43 1/2 Krz. Für 8 Mann Festmusik quittierte Reinh. Weitz 8 Gulden. Für Bier wurden 11 Gulden 36 Krz. in Rechnung gestellt. 1870, am 10. Juli, besuchte der Gesangverein das Sängerfest in Windecken. Nach Kriegsende übernahm Lehrer Rausch den Verein und mit ihm begann ein neues Aufblühen. Da er des Violinspiels unkundig war, schaffte der Verein ein Harmonium zum Preise von 220 Mark an, welches jetzt noch vorhanden und der Schule im Gesangsunterricht überlassen ist.

1878 zählte der Verein 30 aktive und 49 passive Mitglieder. Lehrer Heßler führte den Verein bis 1885. Von da bis 1891 hatte Lehrer Schmahl die musikalische Leitung inne. Innige Freundschaftsbande verknüpften den Gesangverein mit den Vereinen der Nachbargemeinden, besonders mit Nidda. Unter dem Dirigenten Lehrer Haber von 1892- 1894 wurden neue Statuten aufgestellt und erstmalig ein Vereinspräsident gewählt. Es war Wilh. Vogt VIII., der dem Verein bis 1911 vorstand. Er wurde bei seinem Abgang zum Ehrenpräsidenten ernannt.

1895 wurde das 50jährige Bestehen festlich begangen. Der 13. und 15.Juli waren die Festtage. Am Samstagabend war Kommers auf dem Festplatze. Um 8 1/2 Uhr läuteten die Glocken. Am Sonntagmorgen um 5 Uhr verkündeten donnernde Böllerschüsse den Einwohnern den Beginn des eigentlichen Festtages. Um 6 Uhr ertönte vom Kirchturm die feierliche Weise eines Chorals von der Festmusik gespielt. 24 Vereine von auswärts nahmen an dem Fest teil. Die Festrede hielt Herr Pfr. Fischer.

1896 besuchte der Gesangverein die Schlachtfelder um Metz. Inzwischen betreute Herr Lehrer Schäfer den Verein (1893 - 1912). Unter seiner Leitung nahmen die gesanglichen Leistungen einen Aufschwung.

Seit seinem Rücktritt beginnt in der musikalischen Leitung des Vereins eine bewegte Zeit, die wohl für manchen Gesangverein Schaden bedeutet hätte, aber dem „Liederkranz" ganz sicher zum Segen gereichte. Seit 1912 haben die Sänger nicht weniger als sechs Dirigenten kennengelernt, von denen wohl jeder in musikalischer Beziehung etwas persönlich Eigenes mitbrachte, das sich bei den gesanglichen Leistungen der Sänger zum Guten auswirkte. Noch in den zwei Jahren vor dem Weltkriege führten zwei Friedberger Herrn: Musiker Libbach und C. Fr. Glück, den Verein. Mit Letzterem besuchte der „Liederkranz“ zum ersten Male einen Gesangswettstreit, und zwar in Hörnsheim bei Wetzlar. Mit 204 Punkten konnte er sich in der 5a-Klasse den 12. Preis erringen. Es bedeutete für den Verein insofern einen schönen Erfolg, weil die Konkurrenzvereine nicht nur an Mitgliederzahl stärker, sondern auch schon mehrmals mit höchsten Preisen ausgezeichnet wurden.

Der Weltkrieg machte aller Vereinstätigkeit ein Ende, denn er rief fast alle Sänger hinaus auf den Plan.

Schon im Frühjahr 1919 regte sich in aller Herzen der Wunsch, die Sangestätigkeit wieder neu aufleben zu lassen. Am 13. April fand die erste Generalversammlung statt. Präsident Adolf Weitz, der an Stelle von Adolf Keller im November 1913 gewählt worden war, gedachte besonders in seiner Eröffnungsansprache des Sangesbruders Hugo Schnell, der auf dem Felde der Ehre geblieben war. In Lehrer Heinrich Keller von Leidhecken wurde ein neuer Dirigent gewonnen. Am 29. 0ktober erklangen zum ersten Male Wieder die alten, trauten Chorlieder, und bald stand der Verein wieder auf der Höhe inmitten im Gesangsleben drinnen, so daß er schon im Februar mit einem größeren Konzertprogramm bei einer Abendunterhaltung in die Öffentlichkeit treten konnte. Die Zeitung schrieb damals: „Alles in allem kann der Gesangverein nach gerechter Kritik mit Stolz auf den großen Erfolg dieses Abends zurückblicken.“

Aber bald erstand dem Verein ein neuer Chormeister in dem Vorkriegsdirigenten C. Fr. Glück, nachdem im April Lehrer Keller abdankte.

Es galt nun, für das 75jährige Jubiläum zu rüsten. Man beschloß, der gedrückten wirtschaftlichen Lage wegen, nur ein eintägiges Fest in kleinerem Rahmen abzuhalten. Zum Festplatz wurde die Gartenwirtschaft, sowie sämtliche Wirtschaftsräume des Vereinswirts Herrn Wilh. Sprengel ausersehen. Auswärtige Vereine waren nicht geladen. Fräulein Lina Bopp heftete eine herrliche Fahnenschleife an die Vereinsfahne. Herr Pfarrer Vogel hielt dem Geburtstagskind die Fest- und gleichzeitig die Taufrede. Von nun an heißt der Verein: Gesangverein „Liederkranz“! Das Fest nahm bei schönstem Wetter einen glücklichen Verlauf. Am 6. Juli 1921 wurde im Ossenheimer Wäldchen der Wetterau-Sängerbund gegründet. Der „Liederkranz“ erklärte sofort seinen Anschluß, denn er war sich bewußt, daß ein Zusammenschluß der Gesangvereine dem Gesangsleben des einzelnen Vereins als auch dem der ganzen Gegend nur förderlich sein konnte. Am Ende des Jahres 1921 trat erneut ein Wechsel in der musikalischen Leitung des Vereins ein. Herr Glück trat der schwierigen Umstände halber von seinem Posten zurück, und am 4. Januar 1922 wurde Herr K. Schnell von Reichelsheim definitiv als Gesangsleiter bestellt. Am 21. Mai hielt der Bezirk Reichelsheim des Wetterau-Sängerbundes im Gasthof "Zur Post" sein erstes Probesingen ab. Der Bezirksvorsitzende Wilhelm Müller, Reichelsheim, richtete treffende und packende Worte an die Sänger, und der Bundesdirigent Lehrer Frank, Stammheim, dirigierte die Bundeschöre. Am 25. Juni fand das 1.Bundesfest in Melbach statt. Die Leistungen beim Wertungssingen waren zufriedenstellend. Die Festrede: „Rein im Sang, treu im Wort, fest in Eintracht immerfort“ - hinterließ bei allen Zuhörern einen nachhaltigen Eindruck.

Nun kommen die schweren Jahre der Inflation, der Zusammenbruch der Mark. Aber der Verein hielt stand und hat sich durch die schwere Zeit mit Müh' und Not durchgerungen und durchgesungen. Man höre! Am 3. November 1922 Dirigentenhonorar pro Gesangsstunde: 60 Mark. Am 1. Juli 1923 monatlicher Beitrag: 3000 Mark. Am 12. August 1923 beim Liedertag Eintrittsgeld: 1000 Mark. Kreditaufnahme beim Vorschuß- und Creditverein Reichelsheim: 500 000 Mark. Genug aus diesen traurigen Tagen!

Trotz dieser Notzeit wurde fleißig gesungen, mußte doch jedes Jahr auf dem Wertungssingen eine Probe des gesanglichen Können abgelegt werden. 1923 beteiligte sich der „Liederkranz“ am Wertungssingen in Ockstadt. Am 25. Mai 1924 hatten wir einen Sängerbesuch. Das Doppel-Quartett Friedberg-Feuerbach veranstaltete im Gasthof „Zur Post“ ein wohlgelungenes Konzert. Am 27. Juli sang der Verein beim Wertungssingen in Bad-Nauheim.

Das Jahr 1925 nahte, der 30. Geburtstag des „Liederkranzes“. Sollte man ihn durch eine größere Feier festlich begehen? Das war die Frage, mit der sich der Verein bei jeder stattgehabten Sitzung beschäftigte. Man beschloß, der schlechten Zeitverhältnisse wegen, von einer größeren Feier Abstand zu nehmen. Dahingegen wurde der nationale Gesangswettstreit in Holzhausen am 16.Juli besucht, woselbst der Verein in der 2. Landklasse den 3. Preis errang. Bald darauf trat der Dirigent Karl Schnell zurück und Herr Lehrer Mohr aus Dorheim wurde für dieses Amt gewonnen. Im Winter dieses Jahres wurde nun auch das 80jährige Stiftungsfest durch eine Abendunterhaltung gefeiert. Leider mußte Lehrer Mohr, Dorheim, der schwierigen Reiseverhältnisse wegen, die Führung des Vereins niederlegen, und Herr Blindenlehrer Funk von Friedberg wurde Chormeister.

Am 11.April 1926 bereiteten uns das Gesangsquartett „Arion“ des Gesangvereins „Frohsinn“ zu Königstädten und im Mai das „Friedberger Doppelquartett“ einen seltenen Genuß, indem sie im Sprengelschen Saale ein Konzert veranstalteten. Im September nahm eine Abordnung des Vereins an dem 1. Hess. Sängerbundesfest in Mainz teil.

Die Bewertungen der gesanglichen Leistungen des „Liederkranzes“ bei den Bundes-Wertungssingen in Bellersheim und Dorheim waren sehr gut und gaben den Sängern Veranlassung und Ansporn, noch mehr in gesanglicher Beziehung zu leisten als seither.

1928 wurden die beiden Wertungssingen in Rockenberg und Ober-Rosbach besucht. Im Dezember übergab Herr Funk, ebenfalls der schweren Umstände halber (Übernachten in Reichelsheim usw.), gern den Dirigentenstab dem inzwischen nach Reichelsheim übergesiedelten Lehrer Keller von Leidhecken. Er übernahm somit zum zweiten Male die Leitung des „Liederkranzes“, und es ist Aussicht vorhanden, daß nun dem steten Wechsel des Dirigenten Einhalt geboten ist. Schon am 27. Januar 1929 trat der neue Dirigent mit dem Verein bei einer wohlgelungenen Abendunterhaltung an die Öffentlichkeit. Einen besonders guten Erfolg hatte der Verein beim nationalen Wertungssingen in Nieder-Erlenbach, wobei er unter starker Konkurrenz unter 11 Vereinen in der 2. Klasse mit 49 Punkten den 5. Preis (ein versilbertes Trinkhorn) errang. Am 2. Sängerbundesfest in Darmstadt nahm eine Fahnenabordnung von vier Mann teil. Beim Wertungssingen in 0ber-Mörlen schnitt der Verein recht gut ab. Im September lud der „Liederkranz“ eine Reihe Brudervereine zu einem Liedertag nach Reichelsheim ein. Er war gut besucht, und die Teilnehmer werden sicherlich noch recht oft der fröhlichen Stunden im Gasthof „Zur Post“ gedenken. Am 2. Weihnachtsfeiertag hielt der Verein seine winterliche Abendunterhaltung ab, und nun rüstete er zu seiner 85. Jubiläumsfeier. Die 85jährige Jubiläumsfeier beging der Verein im Rahmen eines dreitägigen Festes am 12., 13. und. 14. Juli 1930. Wenn auch der Wettergott an diesen drei Tagen nicht gerade sein bestes Gesicht zeigte, so konnte es aber trotzdem als wohlgelungen angesehen werden, denn ganz Reichelsheim war an diesem historischen Tage eine große Familie, und alle auswärtigen Vereine und Gäste gingen mit den besten Eindrücken von hier wieder fort. Von 1930 bis 1939 wurde fleißig weitergesungen und traditionsgemäß an allen örtlichen sowie auswärtigen gesanglichen Veranstaltungen teilgenommen. Dann brach wieder ein zweiter Weltenbrand über unser Vaterland herein, und mit dem Tage des Kriegsausbruchs ruhte alles Vereinsleben und mithin auch das unseres alten „Liederkranzes“. Die meisten mußten zu den Waffen eilen, und einige liebe, treue Sänger kamen nach dem Zusammenbruch und Kriegsende nicht mehr zu uns zurück. Als dann 1945 der Krieg zu Ende war, schien es fast, als sei auch der Verein zum Tode verurteilt. Trotz allen Schwierigkeiten, vor denen sich nun der „Liederkranz“ sah, gelang es alten Sangesbrüdern wieder junge Menschen für den Chorgesang und unser geliebtes deutsches Lied zu werben, und man fing 1946 wieder an zu singen, nachdem nun alle Formalitäten gegenüber den Behörden erledigt waren. Seitdem wuchs die Zahl der Sänger immer mehr und hat sich von 1946 bis heute mehr als verdoppelt. Wenn nun in diesem Jahr der Verein sein 110jähriges Bestehen im Rahmen eines großen Festes begeht, so ist nicht Festesrausch die Veranlassung, sondern würdige, feierliche Erinnerung an die einstige Gründung, an die langjährige Vereinsgeschichte, sowie der Gedanke, daß wir Sänger durch die Pflege des deutschen Liedes eine hohe ideale Aufgabe vollbringen zum Wohle unseres geliebten Vaterlandes.

Möge der Wettergott ein Einsehen haben und gutes Wetter senden, damit die Mühewaltung des Vereins als auch sämtlicher Gemeindeglieder belohnt werde, nicht allein finanziell, sondern auch ideell. Möge das Jubelfest dem deutschen Lied neue Freunde gewinnen und dazu beitragen, daß in uns die Hoffnung auf eine bessere Zukunft unseres lieben deutschen Vaterlandes neu belebt und gestärkt werde.

Somit sei die Vereinschronik geschlossen mit dem Liedervers von 1848:

„Segen! Herr! Dem Bunde, Deutschlands Auferstehen!
Laß zu guter Stunde unsre Fahnen wehn!
An der Meere Fluten, an der Quelle Bord,
Segne alle Guten, Ew'ger, fort und fort!“