Ortsteil Reichelsheim / Friedhof

Aus Historisches Reichelsheim

Der alte Reichelsheimer Friedhof war auf dem Kirchhof angelegt. Insofern hatte der Begriff Friedhof, Kirchhof oder auch Totenhof die gleiche Bedeutung.

Dort wo heute noch ein kleiner Rest der alten Kirchmauer zu erkennen ist, war früher eine mit Schießscharten versehene hohe Ringmauer mit mehreren Türmen.
Dieser alte Friedhof und der letzte Rest eines Turmes an der Südostseite der Kirche ist laut einem Eintrag im Kirchenbuch wohl erst in den 1860er Jahren abgetragen worden.

Freiwillig hatte man den Kirchhof als Begräbnisstätte sicherlich nicht aufgeben wollen, denn die "aufrechten" Bürger der Gemeinde wurden seit jeher rund um die Kirche auf dem Totenhof - die Mitglieder der Herrschaftsfamilie auch innerhalb der Kirche beigesetzt.
Im Juni 1668 bestattete Pfarrer Frech seinen ertrunkenen Sohn sogar vor dem Pfarrstuhl.
So blieben die Toten immer im Gedächtnis ihrer Angehörigen und der Gemeinde weil man beim Kirchgang regelmäßig an ihren Gräbern vorbei schritt.

Vor den Toren wurden nur diejenigen unter die Erde gebracht, die wegen eines tatsächlichen oder angenommenen Verbrechens gegen die menschlich-christliche Gemeinschaft verstoßen worden waren. Und jetzt auf einmal sollten alle außerhalb der Kirchgemeinde bestattet werden. Dieser Umdenkprozess war sicherlich nicht so einfach umzusetzen.

Eine umfassende und nachhaltige Änderung des Bestattungswesens erfolgte aufgrund eines Napoleonischen Dekrets zuerst in Frankreich und dann auch in allen französisch besetzten Ländern.
Durch das starke Bevölkerungswachstum im 18.Jh. seien die Kirchhöfe oft überbelegt, und die dadurch verursachten Mehrfachbelegungen führten zu einem hygienisch bedenklichen Zustand.
Gemäß dem Dekret von 1804 sollten keine Beerdigungen mehr innerhalb der Ortschaften erfolgen. Die neuen Friedhöfe sollten in rechteckiger Form jenseits der Ortsgrenze von einer Mauer umgeben errichtet werden. Die Begräbnisse sollten der Reihe nach in einem Einzelgrab, also nicht übereinander erfolgen. Auch die Mindestmaße für die Grabbreite und Tiefe sowie die Grababstände gab das Dekret explizit vor.


Der heutige Friedhof in Reichelsheim ist Anfang der 1800er Jahre angelegt worden.
Im Sterberegister unserer Kirchenchronik ist zu lesen:
22. Jan 1806 NB (nota bene) Auf dem Begräbnisplatz - der Reihe nach beerdigt. Johann Wilhelm Ulrich, Bürger, starb an einem Katarrhalsfieber und ward auf bescheinigte Besichtigung früher begraben und war der erste, der in die neue Begräbnisstätte beerdigt wurde.

Im Familienbuch von Reichelsheim findet man den dazugehörigen Eintrag:

Ulrich, Johann Wilhelm von Beruf Leineweber, geboren am 28.02.1733, gestorben am 20.01.1806 mit 72 Jahren, 10 Monaten und 20 Tagen, begraben am 22.01.1806

Dieses Katarrhalsfieber ist nicht mit der fast gleichlautenden Viruserkrankung Katarrhalfieber zu Verwechseln, denn diese wurde erst im Jahre 1877 beobachtet und betrifft nur Paarhufer bzw Wiederkäuer wie Rinder und Schafe.
Über Katarrhalsfieber, als epidemische aus dem englischen kommende Krankheit wird dagegen schon in der Samlung von Beobachtungen aus der Arzneygelahrheit und Naturkunde von Johann Augustin Philipp Gesner aus dem Jahr 1773 berichtet.